Tag 21
Bernhard Teuber:
Kreatürlichkeit
Ed in tanta afflizione e miseria della nostra città era la reverenda autorità
delle leggi, così divine come umane, quasi caduta e dissoluta tutta.
Boccaccio, Decàmeron ‒ Prima giornata.
„Die sahen nicht alles voraus …, sondern die erinnerten sich dauernd an alles mögliche und fanden, es sei besser gewesen. Am häufigsten erinnerten sie sich an das, was es nie gegeben hatte.“ An diesem Satz der „schiefen Tante“ aus Dietmar Daths Erzählung zum 1. Tag bin ich hängen geblieben. Egal, wer die überhaupt sind und in welcher Beziehung sie zur Tante oder auch zum „Linken“ auf dem Balkon stehen: es muss Leute geben, die sich an alles Mögliche zurückerinnern. In Tagen der sich überschlagenden Prognosen, der Szenarien und der Zukunftsplanungen ist das ungewöhnlich. Und doch liegt es für ein ‚Dreißigtagewerk‘, das sich an Boccaccios Decàmeron orientiert, auf der Hand, dass man auf dessen Buch und aufs Florenz des Trecento zurückschaut ‒ so auch schon geschehen in Lionel Ruffels Überlegungen zum 11. Tag. Wie war es damals? War früher alles besser? Gewiss nicht, wenn man wie Ruffel die historischen Gegebenheiten in Betracht zieht. Nichtsdestoweniger lautet meine Frage gerade nicht: Was tun bei Boccaccio die Menschen, um der ‚Pestilenz‘ des Jahres 1348 zu entkommen und den Weg in ein selbstbestimmtes, selbstgestaltetes Leben zu finden? Sondern gerade umgekehrt: Was macht in den Augen Boccaccios die Pestilenz mit den Menschen und aus den Menschen? Und was bleibt dann überhaupt vom Menschen?
Gerne wird das Decàmeron als Emanzipationsgeschichte interpretiert: die kunstvolle Konstruktion von zehn Erzähltagen mit zehn Novellen; die Gliederung der einzelnen Tage nach Themen und doch auch die weise Erlaubnis, an einem Tag genau von dem erzählen zu dürfen, wonach einem gerade der Sinn steht, die höflich zwanglose Gesprächsleitung durch die Königin oder den König für einen Tag ‒ nicht von ungefähr konnte diese Ordnung mit der Architektur einer gotischen Kirche verglichen werden. Und der ‚Rahmenerzähler‘, der sich selbst als Autor versteht und es ja auch ist, weist in der Einleitung zum 1. Tag tatsächlich darauf hin, dass es ihm vor allem um ein in Gemeinschaft entworfenes narratives Geflecht, um fesselnde Inhalte und um die Erheiterung betrübter Gemüter geht. Dem steht aber die ausführliche Erzählung und Beschreibung der Seuche entgegen, die am Anfang steht. Mich hat genau dieser Abschnitt, seit ich ihn las, immer wieder stark beeindruckt, und wiewohl die Aufgabe des Interpreten und des Philologen darin besteht, den Teil ins Ganze, das Episodenhafte in die Ökonomie des ‚gesamten Werks‘ einzufügen, hatte ich stets das Gefühl, dass dieser Text-Ausschnitt nicht nur Ausschnitt ist, sondern für sich selbst stehen kann ‒ nicht wie ein Stein im Gefüge, wie ein Rädchen im Getriebe, sondern wie ein Kolbenfresser, der den laufenden Motor, die rotierende Textmaschine zersplittert.
Sein Bericht über die Pest in Florenz, deren Grund (cagione) erst einmal dahingestellt bleiben müsse, enthalte ‒ so Boccaccio ‒ eine notwendige, schmerzliche ‚Erinnerung‘ (dolorosa ricordazione), ohne die ein (Weiter)Erzählen ‚in Ehren‘ (onestamente) gar nicht möglich wäre. Aber warum? Sucht der Autor lediglich den Kontrast zur idyllischen Atmosphäre zweier Landgüter vor den Stadtmauern, wo sich das weitere ‒ versöhnliche ‒ Geschehen sodann abspielen wird? Oder ist es ihm doch eher darum zu tun, ein selbst (mit)erlebtes Trauma aufzuarbeiten und für das Publikum aufzubereiten? Als müsste es ihm sonst die Sprache verschlagen, als stünden ihm die Gabe der Rede und die Kunst der Erzählung nicht zu Gebote: Eingedenken, Gedächtnis einer schrecklichen Katastrophe und der vielen Verstorbenen, die sie dahingerafft hat; erst nachdem dieser ‚schroffe Berg‘ (montagna aspra) der ‚Kümmernis‘ (noia) überwunden ist, wird ein Anlauf genommen, um von der fröhlichen ‚Schar‘ (brigata) junger Menschen zu berichten, die sich eines Dienstags in der Basilika von Santa Maria Novella treffen.
Was macht die Zeit der Seuche aus, wie unterscheidet sie sich von der üblichen Zeit? In der Pestzeit bricht jegliche Ordnung in sich zusammen: Die ‚ehrwürdige Autorität‘ menschlicher und göttlicher Gesetze kann nicht aufrecht erhalten werden, weil die Diener der irdischen Gerechtigkeit und die Diener der himmlischen Mächte durch die Krankheit gleichermaßen außer Gefecht gesetzt sind. Gesetz und Religion, Ordnung überhaupt, zerfallen. Man ist es gewohnt, die Zeit des ‚Karnevals‘ als Inszenierung und Aufführung einer ‚verkehrten Welt‘ zu betrachten, in der die gesellschaftlichen Hierarchien umgestoßen werden und ihre Bedeutung verlieren. Dasselbe gilt auf eine eigentümliche Weise auch für die Pestzeit: Jedoch ist es nicht der utopische Vorschein oder das nostalgische Nachglühen eines Goldenen Zeitalters, das aus der Eisenzeit vertrieben wurde und nun endlich zurückkehrt. Es ist nicht die dialektisch gedachte Antithese zur thetisch etablierten Ordnung, sondern es ist deren totale Aushebelung, so dass die Geschäftsgrundlage des gesamten gesellschaftlichen Verkehrs kassiert wird. Träger der Ordnung, die in der Seuche unterging, waren letztlich nicht ‒ wie man gedacht hätte ‒ das Bewusstsein, das normative Ideal, die ‚angestammten Gewohnheiten‘ (primi costumi), sondern der gebrechliche und zerbrechliche, von der Ansteckung bedrohte Menschenleib in seiner Kreatürlichkeit, auf dem diese Ordnung ruhte. Wenn die zuständigen ‚Ministerialen‘ (ministri ed escecutori), sowohl weltlich als auch geistlich, im Krankheits- oder Todesfall in Folge ihres rein körperlichen Unvermögens ausfallen, dann bleibt niemand mehr übrig, der diese Ordnung aufrecht erhalten könnte. Die sozialen Bindungen ‒ Familien, Nachbarschaften, Freundschaften ‒ zerfallen, an ihre Stelle treten prekäre und kurzlebige, ausschließlich monetär motivierte Beziehungen: Geldgierige Subjekte verdingen sich bei wohlhabenden Kranken, fordern und erhalten für höchst fragwürdige Dienste unverschämt hohen Lohn.
Die Krise manifestiert sich in drei Bereichen: Da ist erstens der Ausfall der Riten. Die Todkranken werden alleingelassen und versterben ohne Beisein von Zeugen (senza testimonio); keine Frauen versammeln sich zum Klagegesang; auch können die Leichen der Notablen nicht so bestattet werden, wie es ihrem Rang im Leben gebührt hätte. Nur wenige Kleriker begleiten ihren Sarg und verkürzen die Zeremonie aufs Notwendigste. Angehörige und Bekannte bleiben der Begräbnisfeier fern und engagieren mittellose Tagelöhner. Sie geben sich als ‚Totengräber‘ (becchini) aus und tragen gegen Entgelt den Leichnam im Eilschritt zum nächstgelegenen Kirchhof, wo er ins erstbeste freie Grab gelegt wird; die Armen unter den Toten enden ohnehin in frisch ausgeschaufelten Massengräbern.
In der Pestzeit kollabiert zweitens die Verschiedenheit der Geschlechter, die nun nicht mehr die tradierten Rollen spielen, die sie zuvor erlernt haben. Boccaccio beobachtet dies vor allem am Verhalten der Frauen. Ungeachtet des Standes und des sozialen Ansehens, das bislang ihr Selbstbild bestimmt hat, zwingt die körperliche Bedürftigkeit sie jetzt dazu, ihr ‚ehrbares Verhalten‘ (onestà) aufzugeben: Wenn die Dienstbotinnen ihre Herrinnen aus Angst vor Ansteckung verlassen, dann müssen sie sich den Ersatz suchen, der zur Hand ist. Das können ebenso gut wie einstmals Frauen jetzt junge oder alte Männer sein, vor denen die Damen plötzlich alle Teile des Körpers entblößen. Die Schamschwelle, welche die Differenz der Geschlechter markiert, ist offenbar beseitigt; und der einfühlsame, mitleidsvolle weibliche Habitus wird nunmehr abgelöst von Gelächter, Spott und Frohsinn, wo zuvor Klagerufe und bittere Tränen angezeigt gewesen wären; doch dieser Sinnes- und Verhaltenswandel, den die Frauen offenbar aus der Welt hartgesottener Männer übernommen haben, bewahrt sie paradoxerweise davor, der Krankheit zu erliegen, rettet ihnen die Gesundheit und damit das Leben (in gran parte posposta la donnesca pietà per salute di loro).
Dies alles geht drittens einher mit der prinzipiellen Unwissenheit der Gelehrten bei gleichzeitiger Proliferation von Ratschlägen und Verhaltensmaßregeln. Die Zahl der ‚studierten Heilkundigen‘ (medicanti … scienziati) reicht offenbar nicht aus, und so schlägt jetzt die Stunde selbsternannter Experten; nicht nur Männer, sondern auch viele Frauen, die keinerlei formale Ausbildung genossen haben (senza avere alcuna dottrina di medicina avuta mai), behaupten plötzlich zu wissen, was zu tun ist; aber dennoch sterben fast alle Erkrankten innerhalb von drei Tagen. Drei unterschiedliche Formen des putativ rechten Lebens kristallisieren sich in dieser Ungewissheit dennoch heraus: Diätetik, Hedonismus und Eskapismus. Die Einen begeben sich in die Quarantäne ihrer Häuser, wo sie sich im überschaubaren Zirkel der Gleichgesinnten an gesunden Speisen und Getränken laben, aber auch Maß halten und auf berauschende Getränke verzichten. Die Anderen schützen den Leib vor Erkrankung, indem sie ihm alles Gute angedeihen lassen, um das Gemüt heiter zu stimmen. Sie ziehen fröhlich feiernd um die Häuser und hoffen sich so vor Ansteckung zu feien. Die Dritten schließlich verlassen Haus, Besitz und Angehörige und fliehen einfach aus der Stadt, weil sie diese für dem Untergang geweiht halten; sie suchen ihre Zuflucht in den umliegenden Dörfern und Gehöften, quartieren sich dort auch bei Fremden oder, wenn es gut geht, im eigenen Landhaus ein. Boccaccio beobachtet all dies mit Skepsis: In einer jeden Gruppe gibt es ‒ unabhängig vom Verhalten ‒ viele Tote zu beklagen, sind Menschen, die noch morgens kerngesund im Kreis ihrer Lieben gefrühstückt haben, schon am gleichen Abend in der Andern Welt zusammen mit den Vorfahren zum himmlischen Gastmahl versammelt. Auch hält es Boccaccio für naiv zu meinen, ein Wechsel des Ortes könne davor bewahren, von der Krankheit verschont zu werden:
Quasi l’ira di Dio a punire l’iniquità degli uomini, con quella pestilenza, non dove fossero, procedesse ma solamente a coloro opprimere li quali dentro alle mura della lor città si trovassero, commossa intendesse.
Als würde der Zorn Gottes, der in der Absicht entflammt war, durch diese Pestilenz die Menschen für ihre Ungerechtigkeit zu strafen, solchermaßen seinen Gang nehmen, dass er sie nicht dort, wo auch immer sie gerade wären, heimsuchen wollte, sondern dass er nur diejenigen züchtigen würde, die sich innerhalb der Mauern ihrer Heimatstadt befänden.
An dieser Stelle nimmt der Autor einen früheren Gedanken wieder auf, der bereits am Anfang seines Berichts stand: Die ‚todbringende Seuche‘ (mortifera pestilenza) sei ausgebrochen ‚entweder wegen des Wirkens der Himmelskörper‘ (o per operazion de’ corpi superiori) ‚oder aber zum Zweck unserer Zurechtweisung gesandt in Folge von Gottes gerechtem Zorn ob unserer ungerechten Werke‘ (o per le nostre inique opere da giusta ira di Dio a nostra correzione mandata). Es ist das Bild eines ‚zornigen‘ Gottes oder genauer gesagt die Rede vom ‚Zorne Gottes‘. Die Vorstellung, dass der ‚Zorn‘ ein Attribut der Gottheit sei und dass demnach eine Seuche auch als Bestrafung durch eine höhere Macht verstanden werden müsse, hat Voltaire und die Aufklärung ebenso wie den humanistisch gesinnten Docteur Rieux aus Camus’ Roman La Peste (1947) skandalisiert, und sie ist auch theologisch höchst umstritten. Dennoch kommt es kaum von ungefähr, dass Père Paneloux, der gläubige Gegenspieler des Docteur Rieux, in seiner Studierstube im algerischen Oran über die afrikanischen Kirchenväter forscht und dann während der Pestepidemie eine erste, vielbeachtete Predigt hält, in der er genau einer solchen Auffassung zuzuneigen scheint. Die Pest bezeichnet der Geistliche als eine ‚Geißel‘ (nachdem er sich dem Sanitätsdienst anschließt, wird ihm diese kommode Metaphorik abhandenkommen, und sie taucht in seiner zweiten, bescheideneren Pestpredigt nicht mehr auf). Jedenfalls macht sich Paneloux ‒ wohlgemerkt in der ersten Predigt ‒ den Doppelsinn zu Nutze, dass französisch fléau (von lateinisch flagellum) zuallererst den ‚Dreschflegel‘ bezeichnet: Gott gebrauche dieses Werkzeug, um vermittels der Seuche die ‚Spreu‘ vom ‚Weizen‘ zu trennen und diesen in seine Scheune einzufahren (Teil II, 3. Kapitel).
Zu den prominenten Vertretern der afrikanischen Patristik, die Paneloux geprägt haben könnten, gehört auch der Berber Firmianus Lactantius, der einen einflussreichen Traktat De ira Dei verfasst hat. Gegen die Meinungen der Stoiker und der Epikureer schreibt Lactanz Gott sowohl gratificatio (‚Freundlichkeit‘) als auch ira (‚Zorn‘) zu; diese Ambivalenz oder, wenn man so will, ‚Janusköpfigkeit‘ artikuliert Lactanz mit der Frage nach der Gerechtigkeit. Der göttliche ‚Zorn‘ und die daraus resultierende ‚Bestrafung‘ der Bösen sind ein Moment jener providentia (‚Vorsehung‘), welche immerzu die Gerechtigkeit ins Werk zu setzen sucht: Sie bringt das Gute hervor und kann eben darum den Sieg des Bösen nicht gestatten. Von einer giusta ira di Dio spricht nun Boccaccio, der Lactanz und die von ihm ausgegangene Spekulation bis hin zu Boethius ebenfalls kannte. Göttlicher Zorn oder die Bewegung der Gestirne könne den Anlass zum Ausbruch der Seuche gegeben haben, wobei sich ‚Gottes gerechter Zorn‘ mit ‚der Ungerechtigkeit unserer (eigenen) Werke‘ (le nostre inique opere) und mit der göttlichen Absicht verwindet, (gerade) ‚uns eine Botschaft der Zurechtweisung zu senden‘ (a nostra correzione mandata). Man braucht die Unbestimmtheit in der Adjunktion der Konjunktionen ‚entweder/oder‘ (o …o …) nicht zwingend zum Disjunktiven hin auflösen; sie können auch als Konjunktion im Sinne eines ‚Sowohl/als-auch‘ gemeint sein. Die Himmelskörper sind nach antiker und mittelalterlicher Kosmologie mit Intelligenz begabte Geschöpfe, die unbeirrt ihre Bahnen am Himmel ziehen (eventuell sogar von Engeln geleitet werden) und darum ihre Mitgestirne und Mitgeschöpfe beeinflussen können ‒ bis hinab in die sublunare Welt, im Guten wie im Bösen; doch wie die Gestirne ist auch der Mensch im selben ‚Sechstagewerk‘ (Hexameron) erschaffen worden und demnach gerade in seiner anfälligen Leiblichkeit Kreatur, die in der ihr eigenen Sphäre nichtsdestotrotz eine machtvolle Dynamik zu entfesseln vermag ‒ im Modus des Körperlichen wie des Geistigen. Wo solche Dynamik ins ‚Unrechte‘ abdriftet, wo sie für die Mitgeschöpfe bedrohlich wird, greift die Mechanik einer kosmischen Ökologie ein, deren Sorge dem Einhalten des ‚rechten Maßes‘ (aequitas) gilt und allem ‚Unbilligen‘ (iniquitas) einen Riegel vorschiebt.
Heute formuliert man mit Hilfe anderer Metaphern: Ein unbedeutender Planet oder kranker Superorganismus am Rande der Milchstraße namens Gaia alias Tellus sive Terra (letztlich natürlich auch nur ein Geschöpf unter so vielen anderen) mache von seinem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch, um sich gegen Schädlinge zu wehren, die ihn zu vernichten drohen. Oder: Hätten die Menschen nicht längst schon einsehen müssen, dass die maßlose Ausbeutung und Vernichtung der Natur sowie die ebenso unvernünftige wie lebensfeindliche Form des Wirtschaftens und der Fortbewegung ihre Existenzgrundlagen im ganz radikalen Sinn obsolet machen? Der Ritus, die Ordnung der Geschlechter, die Kunst des rechten Lebens sind plötzlich außer Kraft gesetzt, weil ein gefährlicher Krankheitserreger das kreatürliche Substrat zerstört, auf dem Kultur und Zivilisation eigentlich gründen.
Die Parallelen zwischen der Seuche in Boccaccios Florenz, der Pest in Camus’ Oran und der Corona-Pandemie unserer Tage bedürfen keiner ausführlichen Erläuterung; sie liegen auf der Hand ‒ ungeachtet gravierender Unterschiede. Walter Benjamin hat solche Ketten des Verhängnisses nicht mit dem Anthropomorphismus vom ‚Zorne Gottes‘ beschrieben, sondern abstrakt und brutal als Ausdruck göttlicher Gewalt. Wer vermag zu garantieren, dass den selbstbewussten Kreaturen des Anthropozän, die sich erwählt fühlten, die Zukunft der Erde von nun an selbst zu formen, nicht lange vor der Zeit und in einem sehr buchstäblichen Sinn das Totenglöckchen läutet?
Bernhard Teuber // Emeritierter Romanist an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Arbeitsgebiete in französischer, spanischer und mittelalterlicher Literatur, Mitglied der Forschungsgruppe „Philologie des Abenteuers“ und des deutsch-spanischen Netzwerks „Humanistenwissen und Lebenspraktiken“.
Tag 22
Josephine Bätz:
[situs inversus]
nach dem körper begeben sich
auch die sinne in isolation ziehen nach innen
tasten organe ab drehen sie zurecht drehen sie
tief
unter dem sternum an den pressenden lungen
vorbei legen sie sich in schlingen
um das herz das ist enger geworden
von der spitze aus zittern alle
membranen und die kammern
ziehen beständig neue wände ein
wenn ich von innen schaue besteht
mein körper nur aus transportwegen
die vena cava pumpt kaum noch das
lungenblut ab hat heute bereits zum
fünften mal ihren zugriff verändert
schlaucht durch den thorax bis ran
zur aorta meine unterschiedlichen
bereiche kann ich nur dort bestimmen
wo sich das rot ändert
und im ventrikel sitzend rufe ich
dich an
Josephine Bätz // Studiert Filmwissenschaft an der FU Berlin, schreibt
Lyrik und Kurzprosa. 2019 studentische Stadtschreiberin für Berlin.
Tag 22[verlängert]
Maria Marggraf:
mein zimmer macht sich weit
mein zimmer macht sich weit
es füllt sich an mit luft
ein kosmos jeder stein
der wand die mich umgibt
es zieht wie sie sich dehnt
ein wind durch meine haut
durchschießt den firn der haut
den brachte ich von weit
her aus der kalten luft
der stadt aus mürbem stein
die es nun nicht mehr gibt
seit sich mein raum ausdehnt
dabei den firn zerdehnt
er bricht von meiner haut
das bersten hört man weit
dunst mischt sich in die luft
kristall prallt auf den stein
der zischend antwort gibt
dem wind mich übergibt
des zimmers das sich dehnt
und schutzlos ist die haut
ohne den firn der weit
entfernt ist brennt die luft
auf ihr und glüht der stein
schweißperlen legt der stein
mir auf die haut die gibt
nun nach und endlich dehnt
sie sich die dünne haut
zergeht verteilt sich weit
und löst sich in der luft
mir fehlt die kalte luft
die ich verließ der stein
der stadt die es nicht gibt
der rückweg zu ihr dehnt
sich mehr als meine haut
die stadt ist schon zu weit
und weithin nichts als luft
kein stein der mich umgibt
nichts dehnt sich keine haut
Maria Marggraf // Lebt, arbeitet und schreibt nach ihrem Studium der Hispanistik, Anglistik und Lateinamerikastudien (Berlin und Havanna ) derzeit in Basel.
Tag 23
Max Walther:
S-P-E-L-L:
A-R-K [sic!]
So they turned to each other in their trance state and to each other that was not them, in whatever bodies or genders they had at that moment, and with feet spread slightly wider than their shoulders and pressed firmly into the ground, nostrils flaring and upper lips slightly snarled, they breathed even more deeply and proclaimed, to each other and to each other’s other and to all the willing monsters, to the friends and ex-lovers and frenemies […] and with ever-growing intensity to the gathering hive buzzing there now amidst the glitter and ash, they spoke as one and declared, with tenfold determination together and to each other, let us come together now, let’s now let’s, let’s… (Spahr/Buuck: An Army of Lovers, 128f.)
Eingebettet in ein zugegeben ordinär wirkendes Lamento über die eigene Mittelmäßigkeit und die Bedeutungslosigkeit von poetry in spätkapitalistischen Zeiten – deren Wirkungslosigkeit und Ohnmacht – entwerfen Juliana Spahr und David Buuck in ihrem kollaborativen An Army of Lovers einen Zeichenkreis um ein notwendigerweise flüchtiges Zentrum: a casting s-p-e-l-l.
In fünf, nur lose miteinander verbundenen Kapiteln umkreisen Spahr und Buuck die (Un-)Möglichkeiten einer poetic intervention. Eines Zur-Sprache-kommens, das weniger den gewalttätigen Gesetzen des Marktes unterworfen ist, sondern sich dem, bei gleichzeitiger Involviertheit und Intervention, entzieht. Dabei kann es sich, das wird recht schnell deutlich, weniger um ein simples Gegen-schreiben, sondern vielmehr um ein zerreibendes, sich ein- und ausschreibendes Zerschreiben handeln. Zu begreifen als korporale, soziale Praxis, die sich nicht von einem gesetzten Außen an die Schrift/Sprache heran-schreibt, sondern die selbst fliehend quasi von innen heraus und involviert eine aufständisch-kriminelle Syntax formuliert, die sich nicht vereinfacht gegen gesetz-te Sprache richtet, sondern gegen die Möglichkeitsbedingung des (Ge-)Setzens. Dabei greift das Zerschreiben in gewisser Weise an die Wurzeln, indem es sich nicht um ein simplifizierendes Gegen eine/die Gesetztheit handelt, sondern um einen fortlaufenden Aufstand gegen strukturelle Befähigungen des ein- und ausschließenden Setzens.
Und hier kommt das spelling, der spell, das cast-a-spell zum Tragen: Zwangsläufig, auf Grund der semantischen Polyvalenz von s-p-e-l-l (-ing), ambigue bleibend, formulieren Spahr und Buuck meiner Lektüre nach eine Poetik der postmodernen Verzauberung, des Zaubers und schlagen damit einen theoretisierbaren Bogen zu einer Auffassung von (schreibender) Äußerung, die das korporale ebenso wie das soziale Eingelassen-sein/-werden akzentuiert. Über die aristotelische poiesis, (früh-)mittelalterliche Zauberlehre, afrikanische Voodoo-Weltzugänge und deren migrierte (fortlaufende) Tradition in den Amerikas bis hin zu aktuellen Enchantement-Theorien (man denke beispielsweise an Jane Bennett) ließe sich die poetische Praxis des spelling als eine kollektiv korporale Form der Weltproduktion verstehen. Mit einem immensen Potenzial für Widerstand – wenn auch die ‚Zugänglichkeit‘ beschränkt ist.
Der Zauber(-spruch) verlangt eine alternative Raum-Zeit, eine werdende oder zu-schaffende. In An Army of Lovers gibt es zwei Szenen dieses spelling, die als Versuchsanordnungen beschrieben, ebenjene (Un-)Zugänglichkeit markieren: Ein mehr oder minder missglückter Zauber im ersten Kapitel (A Picturesque Story about the Border between Two Cities), in welcher das Resultat der Beschwörung sich als maßstabsloser bal-de-trash materialisiert:
Despite Demented Panda’s skepticism and his desire for picturesque performance art, the spell worked, in a certain sense of the word.
Neben Clowns und Akrobaten, die die Luft mit Konfetti ver-regnen und eingepferchten Löwen, die durch die Konfetti-Luft wirbeln, umgibt die zwei Poeten eingelassen in das „hard-to-say-what-the-plot-of-land-was“-Terrain Vague:
diamond-covered push-up bras, pubic areas vajazzled with Swarowski crystal ornaments instead of hair, skyscraper heels covered with pavé-style tiny twinkling crystals, and diamond-encrusted dog tags. (Spahr/Buuck, 28/29)
Ein alles vernichtendes heraufbeschworenes Feuer scheint die einzig denk- und machbare Auflösung des Aufmarsches.
Ein zweiter ‚Versuch’ im fünften Kapitel (An Army of Lovers), improvisierter und freier als der erste, wirkt erfolgreicher:
There on their yoga mats, Demented Panda and Koki took deep breathes and felt their breastplates rising and falling as they relaxed their bodies into the ground. And with each breath, they dropped into being relaxed, bright, and natural, dropped into being with the small plot of land, with its still smoldering trash and tot as well as its regenerative energies and resilient ecologies (Spahr/Buuck, 126)
– woraus eine kraftvolle Verschmelzung entsteht. Eine relative Nichtung des Ichs. Ein Verwobensein in einem komplexen, quasi-mystischen ‚Wir‘, das Menschliches wie Nicht-Menschliches einschließt und sich zu einer widerständigen Äußerung – oder: zu einer Äußerung überhaupt – befähigt.
What comes out of you or me comes out of all of us, which is why we want to dance with you in the common sluice without shame and hesitation, for we have wasps planted in us and want together to grow monstrous side branches that topple the stalkes of you and us…. (129)
In Eine Poetik des Undercommons beschreiben Fred Moten und Stefano Harney nicht zuletzt eine poetische Widerstandskraft des Nichts, beziehungsweise des no-thing, die auf der Ebene der sozialen Praxis anzusiedeln ist:
Die Undercommons [sind] primär von der Alltagspraxis des Tuns und Schaffens charakterisiert, in einer (Per) Version des alten Griechischen Sinns von poiesis. Es ist eine soziale Poetik: Ein permanenter Prozess, in dem Menschen Dinge und einander erschaffen, oder genauer gesagt, in dem kontinuierlich unteilbare Differenzen geschaffen werden. Sie erschaffen die Sozialität, in der sie leben und diese Sozialität wird häufig im relativen Sinn als Nichts begriffen… (Moten/Harney: Eine Poetik der Undercommons, 32)
Dabei begreifen Moten und Harney, Gayatri Spivak zitierend, die Verweigerung als erstes/primäres Recht, als „game-changing kind of refusal in that it signals the refusal of the choices as offered“, wobei es nicht darum geht – ähnlich wie oben das Zerschreiben betreffend formuliert – eine spezifische Setzung zu opponieren, sondern „to end the world that created those particular troubles as the ones that must be opposed“. Widerstand und Verweigerung finden bei Moten und Harney einerseits ihre Form in dem, was beide Autoren als study konzeptualisieren und anderseits – oder besser: darin aufgehoben – in einer alltäglichen monastischen Praxis: „im Sinne eines Thelonialen Monastizismus, einer Monk’schen Art des Mönchseins“. Eines „Monastizismus des Clubs“ (48). Darunter könnte man einen wilden, dezentralen, vielleicht sogar chaotischen und, aller Widersprüchlichkeit trotzend, einen transgressiven Monastizismus verstehen. Eine kreative, spontane und improvisierte alternative Existenzweise, die der An- und Ausrufung der Un-Ordnung/-Ortung folgt. Eine kooperative, kollektive und korporale Ko-Habitation und damit Kreation, deren Folge ein die Differenzen affirmierendes ‚Wir‘ ist, das sich äußert, sich (selbst) zur Äußerung befähigt. Eine (er-)schaffende Nichtung, ein wirkmächtig-werdendes Eingelassen-sein.
We cannot say what new structures will replace the ones we live within yet, because once we have torn shit down, we will inevitably see more and see differently and feel a new sense of wanting and being and becoming. (Jack Halberstan in: Moten/Harney: The Undercommons, 6)
Wenn ich Fred Moten und Stefano Harney lese, denke ich fast unweigerlich an das, was Charles Jencks und Nathan Silver in den frühen 1970er Jahren als Adhocism theoretisiert haben. Vor allem an die so genannte Adhoc Revolution, die die Idee der Revolution gegen die scheinbar zwangsläufig implementierte Teleologie dieser ausspielt. Eine Revolution der BastlerInnen, der ImprovisatorInnen und nicht eine der SeherInnen und HeilsverkünderInnen.
Max Walther // Promoviert am Graduiertenkolleg Medienanthropologie an der Bauhaus-Universität Weimar zu Körper und Schreiben bei Simone Weil, Chris Kraus, Kathy Acker und Annie Ernaux; er ist einer der Initiatoren des „Triakontameron“.
Tag 24
Christoph Eggersglüß:
Verfahrensfreie Schutzhütten
Leipzig, April 2020
Deutschland im Lockdown. In Sachsen herrschen neben Bayern, zumindest auf dem Papier, die härtesten Bewegungsbeschränkungen für all jene, die nicht relevant sind, zumindest nicht fürs System. Für die einen bedeutet das viel, für die anderen kaum Veränderung des Tagesablaufs. Berufliche Existenzen stehen auf der Kippe. Lebensmodelle werden sich ihrer eigenen Resilienz gewahr. Nähe wird zum Problem, sowohl drinnen als auch draußen.
Ein weiterhin erlaubter Spaziergang mit einem Kollegen auf Armlänge an der frischen Luft kann zum gesellschaftlichen Risiko werden. Die Bevölkerung besinnt sich, schränkt sich ein. Fasten- und Bußzeit werden zur Selbstisolation im Zeichen des Altruismus. So kehrt man immer nur wieder zuhause ein. Große Ausflüchte fehlen. Man lauscht der Ode an die Freude auf dem Balkon der Gutbürger gegenüber oder den Unterhaltungen der Wutbürger nebenan. Die Karwoche wird etwas, das man nun ganz buchstäblich mit sich selbst ausmachen, überstehen muss. Ostern feiert die Familie alleine. Alles schon gehört. Zeit dem Bett zu entfliehen.
Durch die Verordnungen rückt da nicht zuletzt der Alltag mit seinen Abläufen und Gewohnheiten in den Fokus der Selbstbeobachtung. Neue Routinen müssen den Tag strukturieren, andere werden überhaupt erst sichtbar, weil sie entfallen. Hobbies und häusliche Projekte werden hervorgeholt, für die lange keine Zeit war. Manche schreiben endlich ihre Bücher. Andere schützen ihre psychische Gesundheit. Zumindest dort, wo Menschen das Home Office herunterfahren, keine Zukunftsängste plagen, keine Pflege und Betreuung leisten oder sich vor allem nicht um die eine warme Mahlzeit kümmern müssen, treten Bedürfnisse in den Vordergrund, die sonst vielleicht untergingen oder anders kompensiert wurden. Überhörte Gespräche beim Einkauf zeugen von der Bedeutung, die nun das Abkärchern der Terrasse in dieser schwierigen Zeit einnehmen mag. Ein Zeichen, dass es dem Speckgürtel noch gut geht – ob man es nun als Privileg deutet oder nicht.
Die eigenen vier Wände werden zu eng. Der tägliche Ausgang zum Streifzug und damit lebenswichtig. Weil er nicht nur Luft schafft, sondern auch äußere Vorgänge vor Augen führt. Man könnte das mit Georg Stanitzek einen „unterbrochenen Spaziergang“ oder gar „ununterbrochenen Spaziergang“ nennen. Der Weg: zum Einkauf, zum Arzt, der eigentlich zur Arbeit, und in Zeiten der Corona ganz einfach und am besten direkt doch wieder nur nach Hause führte, wird unterbrochen, um einer Geschichte, Beobachtung, Entdeckung Platz zu machen. Der Spaziergang wird zum Mittel, selbst das Naheliegende, das eigene Wohnumfeld, zu erkunden. Ein Gebiet, das auf den zweiten Blick gar nicht so bekannt zu sein scheint. Er gibt Struktur, jeden Tag. Wenn man nicht so wie Georges Perec vorm Stammcafé sitzen kann, um Busse zu zählen, der Blick aus dem Fenster nicht weit genug reicht, muss ein fußläufiges Verfahren her, um Umwelten zu erschließen. Legitim bleibt der Weg in die Solitude, der geplante Schlenker in den Park. Nun sollen dabei keine Ansammlungen entstehen – dennoch gibt es sie.
So im ältesten Stadtwald Leipzigs, dem Rosental, der ehemals für gut hundert Jahre einige barocke Sichtachsen erhielt, um dann vor fast zweihundert etwas lustlos auf englische Weise wieder mit dem Auwald verbunden zu werden. Bei den Grimms heißt es lediglich, „eine stadtwaldung, hat nichts mit rose zu thun, sondern ist möglicher weise eine volksetymologische entstellung des slav. rozdot, höhlung, tiefe und weite niederung.“ Nichts Besonderes also, aber ein lebensrettend luftiges Refugium für die eingesperrten Heimwerkerinnen dieser Tage. Projektemacherei findet sich da nicht nur unter den Ernährern, sondern auch den Kindern einer solchen Zeit. Beschäftigungsfelder wie Kita und Schule sind zu, bleibt der Wald. Streift man heute hindurch, fallen einem hier und dort allerlei Haufen auf, lauter Tipis ohne Häute. Ein regelrechter Bauboom verfahrensfreier Hütten ist zu beobachten oder kommt jetzt erst ins Auge. Äste und Stämme werden zusammengesucht und aufgerichtet, zusammengestellt, um hölzerne Höhlen zu schaffen.
Eine Vielzahl von Entwicklungen begünstigt das: Corona und Lockdown, Bedürfnis nach Bewegung und Ortswechsel, aufgestauter Tatendrang und saisonaler Baumausschnitt. Nicht zuletzt das nunmehr in Eigenleistung aufgebotene Betreuungsangebot wirkt hier nach und sucht einen Raum abseits der Wohnung. Dabei sind die beim Vorbeigehen beobachteten Szenen zwar niedlich, aber recht weit entfernt von den bukolischen Stichen, wie sie Architekturfibeln und Abhandlungen von Laugier, Goethe, Semper bis Rykwert zierten. Das Bild der Urhütte scheint nah und doch so fern. Hier gibt es keine wirkliche ‚cabane rustique’, keinen griechischen Tempel aus Ästen und Zweigen, keine Säulen, keine wahre dorische Ordnung, keinen stimmigen Giebel. Hier gibt es kein Pfahlwerk, keine Wände, keine ‚karaibische Hütte’, keinen Mythos, keinen Ursprung. Hier ist wenig wirklich geplant oder lotrecht in den Boden getrieben. Verfahrensfrei sind diese Bauten nach § 61 Sächsischer Bauordnung Absatz (1) (f) wohl ohnehin, da er „Schutzhütten für Wanderer, die jedermann zugänglich sind und keine Aufenthaltsräume haben“ erlaubt, auch wenn hier ebenso Landschaftsschutz wie Park- und Forstordnung zu prüfen wären. Was ist das? Spielgerät, Unterschlupf, Lehrmittel, Zeitvertreib, Versammlungsplatz, Umnutzung oder Umlenkung von Betätigungspotential in andere Räume?
Die vermeintliche Urhütte, ehemals Rückzug vor Wind und Wetter, die seit Vitruv als verzerrtes Urbild und Konzept grundständiger Behausung herhalten musste. Die bei Semper dann mehr noch der Versammlung und Konstitution von Gemeinschaft diente, wird hier schlichtweg zum Notbehelf in einer ganz anderen Krise der Familie. So liegen, knien und sitzen da keine Musen und Götter, sondern mitunter erschöpfte Eltern. Sie lesen, starren ins Leere oder schauen zu, wie sich die Kleinen ihre Umgebung aneignen. Derweil helfen sie Äste zu brechen und übermütiges Unheil abzuwenden. Das mit der Urhütte aufgerufene Primitive tritt in den Hintergrund, selbst wenn das Spielen im Wald überwiegen mag und die Hütte, wenn auch ohne Ständerwerk, in die Nähe dessen rückt, was Bernard Rudofsky einmal Architektur ohne Architekten nannte. Sichtbar werden vor allem die eingespielten Muster, das Erlernte der modernen Familie aus dem Viertel nebenan, das schlichtweg Aufgeräumte im Wald. Also lehnen da die Mini-Mountainbikes an einem aufgehäuften Alteinschlag wie daheim am Carport, der kleine Rucksack kommt in die Hütte, der Kinderwagen davor, bevor es in den umliegenden ‚Garten’ geht.
Gestell am Ende. (Melancholia, Lars von Trier 2011, Still)
So viel gibt es hier eigentlich gar nicht zu sehen. Das lädt kaum ein, mit abschließenden Begrifflichkeiten und Formeln wie etwa der Zweckentfremdung von Forst- oder Spielgerät zu kokettieren. Ausnahmezustand und Warten aufs Ende scheinen fern. Trotz des Bedürfnisses, in diesen einfachsten Bauformen Nähe und Ruhe in einem unkontrollierbarem Außen zu finden und dabei nach innen zu fliehen, ist dies nicht der letzte Rückzugsort. Auffallend bleiben diese verschobenen, in die Möglichkeit der Abgeschiedenheit importierten Gewöhnlichkeiten und Gewohnheiten, sich Platz in der eigenen Beengtheit zu schaffen. Wiederkehrend rustikale Typologien gepaart mit Krisensituation und festem Habitus. Dabei liegen diese selbstgeschaffenen Spielplätze oft gar nicht weit entfernt von jenen, die jetzt mit Sperrband verwehrt bleiben. Selbst die tägliche Streife lässt das geschäftige Treiben im Wald zu und verharrt mit dem Blick auf der Decke im Park.
Christoph Eggersglüß // Medien- und Kulturwissenschaftler, schreibt und forscht nach dem Studium in Bremen, Göteborg und Weimar sowie der Mitarbeit am Internationalen Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie (IKKM) der Bauhaus-Universität Weimar derzeit in Leipzig/Bochum über fußläufige Infrastrukturen, Field Recording und Straßenmöblierung (Poller- und Blumenkübelforschung).
Tag 25
Benjamin Loy:
Corona-Times: pandemische Zeit(ge)schichten
Während in Quarantäne, Abstandsregeln und Reiseverboten gegenwärtig vor allem die Veränderungen der räumlichen Dimensionen des pandemischen Lebens im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, bleiben die zeitlichen Situierungen demgegenüber bislang merkwürdig unterbeleuchtet. Dabei sind letztere möglicherweise ungleich interessanter, da die Frage der zeitlichen Wahrnehmung(en) der Krise aufgrund ihrer politischen Implikationen uns auch dann noch intensiv beschäftigen wird, wenn die rigorosen Regeln der neuen Pandemie-Proxemik in der wiedergewonnenen Nähe der Körper längst zur kuriosen Erinnerung geronnen sind.
Grob gesagt lassen sich drei prinzipielle temporale Register im Umgang mit der Pandemie beobachten, von denen das uninteressanteste gewiss das historisierend-pragmatische ist, welches die auf allen Kanälen plötzlich auftauchenden Medizin-Historiker in Formeln des Ewig-Gleichen mit Verweisen auf die Seuchengeschichte und die rekurrenten allzu menschlichen Reaktionsformen zusammenfassen. Das spektakulärste hingegen wird getragen von der zahlenmäßig geringen, aber notwendig glaubensfesten und expositionsfreudigen Gruppe der Zukunftsfixierten, denen Corona, um mit Koselleck zu sprechen, lange ersehnte „Beschleunigungserwartungen im Sinne erhoffter Zeitverkürzungen“[1] beschert. Dazu zählen meine Nachbarin, die als Apokalyptikerin seit Beginn der Karwoche den Innenhof des Mietshauses regelmäßig mit Gesängen zum Weltende beschallt und das Viertel mit entsprechenden Auszügen aus dem Matthäus-Evangelium zukleistert, ebenso wie Slavoj Žižek[2] und die allzeit bereite globale Prepper-Gemeinde. Der dominierende Diskurs lässt sich jedoch weiterhin dem Zeitregime zurechnen, das Hans Ulrich Gumbrecht vor nunmehr auch schon fast zwanzig Jahren als „breite Gegenwart“ bezeichnet hat und in dem wir bekanntlich nicht von der Vergangenheit loskommen, während die Zukunft ihre einstige moderne Funktion als Projektions- und Imaginationsfläche einer notwendig anderen Zeit eingebüßt hat, womit auch „jene komplexe Struktur von Bedingungen implodiert[e], die es dem klassischen Subjekt ermöglichte, ein handelndes Subjekt zu sein. Das in der Vergangenheit Erlebte in Bilder von der Zukunft zu verwandeln, gelingt uns nicht mehr.“[3]
In Deutschland schlägt sich die dazu seit anderthalb Jahrzehnten eingeübte Politik der breiten Gegenwart in der nunmehr wieder täglich beschworenen Automobilisten-Metapher des „Auf-Sicht-Fahrens“ der Kanzlerin nieder, die an keinem Ort der Welt so schön verfangen kann wie im Reich des Vierrad-Fetischs. Im dichten Nebel der Verhältnisse wird die politische Schrittgeschwindigkeit zum temporären Dogma eines Landes, das sonst zum Tempo-Limit ein kollektivpsychologisches Verhältnis pflegt wie der Amerikaner zum Second Amendment. Für alles hinter den Nebelbänken Liegende begibt man sich alsdann in die Hände der ebenfalls als Krisengewinnler satte Konjunkturzulagen (und Honorare aus Rundfunkbeiträgen[4]) einstreichenden „Zukunftsforscher“. Ich gestehe, dass mir der Name Matthias Horx unbekannt war, bis ich ihn in der gleichen Woche als Referenz sowohl in einem Debattenbeitrag von Friedrich Merz[5] als auch in einer Erbauungsmail einer Prodekanin unserer Fakultät vorfand. Der besagte Futurologe Horx – und es ist wunderschön, dass der Auto-Korrektor als Namensalternative hier das ungleich treffendere „Hoax“ anbietet – verdingt sich, ebenso wie der Rest seiner Familienmitglieder, welche im Netz mit Berufsbezeichnungen wie „Key-Note-Speaker“ und „Künstler“ präsentieren und sich in tiefschürfenden Beiträgen mit Titeln wie „Post-Corona-Hygge“ Erhellungsarbeit leisten,[6] als medial gehypter Schamane eines Zeitalters mit politischem wie akademischem Führungspersonal, welches hier in Ermangelung jeglicher Bewirtschaftungsidee des Terrains des Zukünftigen gerne auf esoterisch Unverfängliches zurückgreift.
Jenseits dieser drei grundlegenden Zeitschichten, die sich in den pandemischen Reaktionen stets überlagern, liegt die entscheidendere Frage jedoch in der Bewertung des überraschenden Einbruchs der Krise aus der zukünftigen Retrospektive: Wird diese individual-biographisch mehr sein als eine weitere bizarre Erinnerung an unsere Existenz in der breiten Gegenwart in Form einiger Zoom-Screenshots von sozial distanzierten Familienfeiern oder einer Kollektion selbstgenähter Gesichtsmasken, bzw. werden die Corona-Times realpolitisch, um im Leit-Jargon des Ökonomismus zu bleiben, wirklich mehr sein als eine „Delle“ im Reich des ewigen Wachstums oder ein Anlass zur Erweiterung bestimmter Monitoringsysteme als Aufgabe der Gesundheitsbürokratie? Oder vermag die kollektive Erfahrung dieser (mutmaßlich) Monate der radikalen Außer-Kraft-Setzung aller systemischen Funktionsbedingungen zum Katalysator eines ernsthaften Nachdenkens über eine andere Form menschlicher Existenz mit entsprechenden ökonomischen, sozialen und anthropologischen Konsequenzen zu werden?
Die politischen Implikationen, die aus diesem Beurteilungspanorama zwischen der Anerkennung von (potentiell systemverändernder) Einmaligkeit einerseits und dem Verweis auf simple (und damit alle Veränderung weitgehend zu entkräften suchende) Rekurrenz andererseits liegen, sind ebenso profund wie pessimistisch zu bewerten. Wenn nach Koselleck das Privileg (und der Fluch) des Alters in der „Überraschungsresistenz“[7] liegen, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die europäischen Gerontokratien – trotz gewisser pandemiebedingter Reduktionen ihrer Machtbasis – nicht wenig daransetzen werden, die Corona-Erfahrung als eine bedauerliche, aber letztlich nicht systembedrohende Surprise-Episode erscheinen zu lassen. Dies ist politisch insofern bedeutsam, als sich in dem Moment, in dem die nun weit aufgespannten Rettungsschirme zur Versicherung gesellschaftlicher Ruhe und Gefolgschaft während des schlimmsten Wolkenbruchs beim absehbaren Zuklappen unmittelbar die Frage nach der Kostenübernahme und damit auch nach der Restitutionswürdigkeit der prä-epidemischen Welt aufwerfen.[8] Die zentrale ökonomische und ökologische Frage wird dahingehend sein, ob es gelingt, die pandemische Zeit in ein kollektives und globales Archiv von Erfahrungen einer alternativen Weise des Lebens und Wirtschaftens zu übersetzen, aus dem – ungeachtet der evidenten Zumutungen eines Lebens im Modus der Restriktion – mögliche positive Erkenntnisse in eine politische Programmatik einer neuen Epoche überführt werden, welche nach wie vor unter dem Signum des Klimawandels stehen wird, und ob diese Programmatik, entgegen der gegenwärtig gern beschworenen Rückkehr eines neuen Autoritarismus,[9] systemkompatibel mit dem Grundprogramm der westlichen Demokratien ist; oder ob es letztlich im politischen post-epidemischen Wettstreit am Ende doch nur wieder um einen Überbietungswettbewerb hinsichtlich der möglichst detailgetreuen Wiederherstellung der alten Welt gehen wird, in welcher die politischen und ökonomischen Eliten (und ihre Wählerschaft) nicht eher ruhen werden, bis der letzte kerosinsubventionierte Billigflieger wieder seine Runden zieht und auch das letzte Stück deutsches Kreuzfahrer-Fleisch wieder unter der prallen Sonne der sieben Weltmeere zu sozialverträglichen Preisen röstet.
Was bis vor kurzem noch ironisch in „Ok, Boomer“-Memes auf Facebook verhandelt wurde, wird unter den verschärften ökonomischen Bedingungen der post-epidemischen Zeit auch zur radikalen verteilungspolitischen Generationenfrage werden. Dann wird sich herausstellen, ob die von den kommoden mittelalten Mittelschichten so vielbepostete „Langeweile“ der Corona-Times zivilisatorisch bedeutsame Reflexionsprozesse jenseits anerkennungswürdiger Fortschritte im Handarbeitsbereich oder im Netflix-Kanon hervorgebracht hat, oder ob am Ende das zentrale politische Movens doch wieder in der Verteidigung des anthropozän-geschulten Nackensteak-Liberalismus und seiner Idee von Freiheit besteht, der Menschen habe je nach Bedarf und Marktlage eben das unverbrüchliche Recht, noch jedes verlängerte Wochenende gefälligst am Nordpol zu verbringen, sich Instant-Fisch vom Grund des Marianengrabens liefern zu lassen oder spontan zwischen Büroschluss und After-Work-Drink noch einen Stratosphärensprung einlegen zu können.
[1] Reinhart Koselleck: „Einleitung“. In: ders.: Zeitschichten. Studien zur Historik. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, S. 15.
[2] Slavoj Žižek: “Global communism or the jungle law, coronavirus forces us to decide”, https://www.rt.com/op-ed/482780-coronavirus-communism-jungle-law-choice/, 10. März 2020.
[3] Hans Ulrich Gumbrecht: „Die Gegenwart wird (immer) breiter“. In: ders.: Präsenz. Berlin: Suhrkamp 2012, S. 80.
[4] https://www.zdf.de/nachrichten/video/zukunft-welt-nach-corona-100.html
[5] Friedrich Merz: „Geld allein hilft nicht“, https://www.zeit.de/2020/15/soziale-marktwirtschaft-coronavirus-krise-friedrich-merz/komplettansicht, 1. April 2020.
[6] https://www.horx.com/
[7] Reinhart Koselleck: „Zeitschichten“, In: ders.: Zeitschichten. Studien zur Historik. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, S. 24.
[8] Bruno Latour hat eben diese Frage nach dem Problem der Wiederherstellung der produktionszentrierten Welt auf ähnliche Weise thematisiert in einem lesenswerten Text, auf den mich Jörg Dünne dankenswerterweise aufmerksam gemacht hat, vgl. Bruno Latour: „Welche Schutzmaßnahmen können wir uns vorstellen, damit wir nicht zum Produktionsmodell der Zeit vor der Krise zurückkehren?“, http://www.bruno-latour.fr/sites/default/files/downloads/P-202-AOC-ROSEN-ALLEMAND_0.pdf, 29. März 2020.
[9] Vgl. etwa Moritz Rudolph: „Kommt jetzt der globale Babeuf?“, https://www.merkur-zeitschrift.de/2020/03/24/kommt-jetzt-der-globale-babeuf/, 24. März 2020.
Benjamin Loy // Romanist mit den Schwerpunkten französische und spanische Literaturwissenschaft an der Universität zu Köln, literarischer Übersetzer aus dem Spanischen und freier Literatur- und Theaterkritiker u.a. für FAZ und ZEIT
Tag 26
Katja Schubert:
Kleines Billet aus Frankreich: Confinement
Seit vier Wochen leben wir hier in Frankreich im sogenannten « Confinement ».
Schaut man im französischen Wörterbuch nach, findet man zunächst Definitionen wie « Isolierung eines Gefangenen », « Eingeschlossensein in einem begrenzten Raum oder der Akt, jemanden darin einzuschließen », « das Verbot für einen Patienten, das Krankenzimmer zu verlassen ». Wir lesen in diesen Kurzdefinitionen von einer erzwungenen Isolierung, vom Abgetrenntwerden, vom Alleinsein, in einem mehr oder weniger abgeschlossenen Raum, den man nur unter strenger Kontrolle oder gar unter Strafe verlassen darf. Etwas ist passiert oder vorgefallen, das diesen erzwungenen Rückzug auf einen klar abgegrenzten Raum erfordert. Entweder ist der Abgeschlossene gefährlich für die Gesellschaft, weil er, wie in unseren Beispielen, straffällig oder krank ist und dies zu einer Fortsetzung der Untaten oder zu einer Ansteckung anderer Menschen draußen in der Gesellschaft führen könnte. Oder aber, wie in diesen Wochen ebenso möglich, die Gesellschaft ist für ihn gefährlich, weil er in Kontakt mit ihr selbst angesteckt werden kann. Es lauert also Gefahr in jeder Hinsicht und das Confinement ist eine Entbehrung, ein Verzicht, eine schmerzhafte Schutz- oder Strafmaßnahme, da sie uns von der Welt in gewisser Weise abschließt und trennt, in die Isolation stößt und eine Strafandrohung für den enthält, der dagegen verstößt.
Wandern wir nun aber in den Tiefen des Gedächtnisses des Wortes umher – und wie sehr brauchen wir in diesen Tagen, in denen die Gegenwart uns manchmal so sehr entgleitet, auch verlässliche Gedächtnisse – und suchen nach seiner Etymologie. Im Wörterbuch latein-französisch ist zunächst die Rede von « confinis » als Grenze eines Terrains, eines Feldes, eines Besitzes einer Person und von einer Linie am Ende des Ackers, die das Terrain abgrenzt. Also mein Terrain « con fine », mit seinem Ende und mit seinen Maßen. Im Weiterlesen aber kommen in der alten Sprache dann sofort Begriffe dazu, die mit « contigu », berühren, und « voisin », Nachbar, übersetzt werden. Das lateinische Wort « confinis » denkt in der Tat sofort den Nachbarn mit, denjenigen, dessen Terrain an mein eigenes grenzt, weil dort seines beginnt. Wir beide teilen uns sozusagen die Grenze, da wir gegenseitig mit unserem Land an das Feld des anderen stoßen. Wir werden in diesem lateinischen Wort zu Nachbarn, wir werden nicht als Vereinzelte gesehen, isoliert, sondern in Beziehung gesetzt. Das « con- » als « mit » im Sinne eines Geteilten, einer Berührung zweier Landstücke, aber auch zweier Menschen, die nicht nur nebeneinander, sondern in gewisser Weise in « guter Nachbarschaft » durch die gemeinsame Grenze leben. Die Öffnung, die dem lateinischen Begriff zugrunde liegt, scheint interessanterweise im Französischen und auch durch eine politische Umdeutung zu « Verbannung » im Laufe der Geschichte völlig verloren gegangen zu sein. Die Negativität von Heraustrennung, Isolation und Eingeschlossensein dominieren, wo das Lateinische die Bindung und Verbindung mit dem Nachbarn hervorhebt, Raum- und Zeitgenossenschaft unterstreicht. Da, wo meine Welt endet, beginnt die des Nachbarn, ich kann mit dem « con-finis » aus meiner eigenen « finitude » hinaustreten und sie überschreiten in die Richtung eines Offenen und eines Anderen.
In diesen Tagen mit Sommerwetter ist das Fenster weit auf, und immer höre ich meine Nachbarskinder (ja, sie mach ich mir zu Nachbarn) mit ihren tröstenden, lebendigen, hellen Stimmen im Gemeinschaftsgarten hinter dem Haus spielen « un, deux, trois soleil ». Ein Kind steht mit dem Gesicht zur Mauer, während die anderen sich mit einem größeren Abstand hinter seinem Rücken aufstellen. Das einzelne Kind sagt in Richtung Mauer « un, deux, trois, soleil » und dreht sich dann um, während die anderen ein paar Sekunden Zeit hatten, sich in seine Richtung zu bewegen, denn das Ziel ist es, die Mauer oder das anleitende Kind zu berühren. Bei dem Wort « soleil » erstarren die Kinder wie Skulpturen, mitten in der Bewegung. Das Kind an der Mauer zeigt beim Umdrehen auf diejenigen, die sich noch bewegen, sie müssen zurück an den Start. Das Kind, das zuerst bis zur Mauer gelangt, wird dann der neue Anleiter.
Ich mache mir das Vergnügen und schaue nach, wie das Spiel in anderen Sprachen heißt und finde « Ochs am Berg » in Deutschland, auf italienisch Un, due, tre, stella, in Portugal spielen sie Um, dois, três, macaquinho do chinês, eins, zwei, drei, kleiner chinesischer Affe, die mexikanischen Kinder sind « tiefgefroren: congelados, », nachdem sie eins, zwei, drei gerufen haben, in Polen muss man Angst haben, weil die Hexe einen zum Erstarren bringt Raz, dwa, trzy, babajaga patrzy!, während die Rumänen einfach « Aubergine » (una, două, trei, vinete) und die Israelis « marinierter Hering », dag malouah (דג מלוח), rufen. Die Vielfalt der Bezeichnungen und Perspektiven ist bezaubernd, vom hellen Licht bis zur bösen Hexe und Kälte über einheimische Nahrungsmittel und den bäuerlichen Ochsen hin zum chinesischen kleinen Affen wird abwechselnd gedroht, verheißen, ans Essen erinnert und der Mensch zum Tier gemacht. Es geht um die Perfektion der Erstarrung und um das geschickte Vorankommen bis zur Mauer, es gibt die Schrecksekunde des Rufs, der zugleich begehrt wird, man macht etwas hinter dem Rücken des anderen, der aber die Chance bekommt, sich umzudrehen und zu sehen, wie die Lage ist und sie neu sortieren darf. Jeder kann in die Position des Kindes an der Mauer kommen, so wie jeder Teil der Gemeinschaft der sich sichtbar-unsichtbar fortbewegenden Kinder sein kann. Bewegung und Stillstand, Blindheit und Sehenkönnen, vorangehen und innehalten. Diese Vielfalt von Namen, Bewegungen, Positionen und Geschichten im Kinderspiel fasziniert mich. Sie steht in so merkwürdigem Kontrast zu der Vereinheitlichung der Welt unter diesem einen Wort und Ruf « Corona ».
Als « personne confinée » darf man in Frankreich nicht mehr aus dem Haus gehen und einfach in der Landschaft stehen und schauen, in den Himmel, auf ein Haus oder in einen Garten hinein. Dieses schauende Stehen kommt nicht vor auf dem « laissez-passer », das man immer bei sich tragen muss, und hat keine Rechtfertigung, da es keine Arbeit ist, weder zur Nahrungsmittelbeschaffung noch zur kurzen sportlichen Betätigung und auch keinem Arztbesuch dient. Ist der Kontrolleur, auf den man draußen trifft, streng, verlangt er 138 € dafür.
In solchem innehaltenden Sehen könnte man sich auch eine Nachbarschaft erschaffen: die Vögel, die unerhört blühenden Bäume, die Katze auf der Mauer. Also kehre ich zurück an mein Fenster zu meinen Lieblingsnachbarn und höre dem Kinderspiel voller Gestirne, Hexen, Heringen und Affen zu. Am Ende gibt es immer ein großes Lachen.
Katja Schubert // Maître de conférences für deutschsprachige Literatur an der Université Paris Nanterre mit einem Forschungsschwerpunkt zu Shoah und Literatur, Literatur und Exil, interkulturelle Literatur.
Tag 27
Dominic Angeloch:
Allgemeine Isolation und die Wiederkehr des Allgemeinen
Filme für den inneren Ausnahmezustand – Literatur wider die vollendete Trennung
Eine Freundin schickte mir eine Liste mit Filmen zur Pandemie und verwandten Thematiken, Seuchen- und Katastrophenfilme bis hin zu Postapokalypse-Szenarien, die man während Quarantäne und Ausgangssperre bingen könne:
Abgesehen davon, dass Filmen, die das zeigen, was sich in einer allzu ähnlichen Form vor den eigenen Fenstern abspielt, in Krisenzeiten vielleicht nicht der größte Unterhaltungswert zukommt, fällt auf, dass einer der besten Filme der letzten zehn Jahre, zum Thema und überhaupt, fehlt: Take Shelter.
Dass er fehlt, ist kein Wunder. Take Shelter nämlich lässt uns in das mindset eines sich innerlich längst in Quarantäne Befindlichen gleiten. Der Film tut das, ohne den Protagonisten – in allen Ambivalenzen und unsichtbaren Konflikten meisterhaft gegeben von Michael Shannon – als Hysteriker oder geradewegs Verrückten bloßzustellen. Und zugleich entwickelt der Film subtil eine Perspektive zur Kritik des dargestellten mindsets.
So zumindest ein Verständnis unter vielen anderen möglichen – man kann den Film, zumal eingedenk des Endes, auch ganz anders auslegen; sicherstes Kennzeichen eines Kunstwerks ist seine Interpretationsoffenheit.
Ein klassischer Katastrophenfilm oder die Updatevariante mit über die Boulevards hetzenden Infizierten aller Art hingegen bietet kaum Aufklärung, selten über äußere Dinge, noch seltener über innere. Es liegt einfach nicht in der Genetik dieses Erzählens: Ob der Held schließlich den grünen oder den blauen Draht durchschneidet, hat für den Suspense viel Bedeutung, im Alltag gar keine.
Das eigentliche Problem jener Filmliste aber liegt woanders. Die Ersteller scheinen Wert darauf gelegt zu haben, Filme auszusuchen, die die jetzt zum Ausbruch gekommene Angst in der einen oder anderen Form vorweggenommen haben, bestätigen und/oder verdoppeln. Die Filme, die derlei Panik kritisch zu verhandeln und/oder, explizit oder implizit, durch ihre Erzählform, in Frage zu stellen helfen, sind, soweit überhaupt vorhanden, in der Minderzahl.
Wir leben ohnedies in einem Dickicht von Metaphern, von denen wir vergessen haben oder nie herausbekommen haben, worauf sie eigentlich gehen; statt für Metaphern halten wir sie für natürliche Gegenstände. Denn „da, wo sich die wirkliche Welt in bloße Bilder verwandelt, werden die bloßen Bilder zu wirklichen Wesen und zu den wirkenden Motivierungen eines hypnotischen Verhaltens“ (Guy Debord).
Die allergrößte Angst der meisten ging bis vor kurzem auf die Unübersichtlichkeit und Unkontrollierbarkeit, das Fremde der Welt und in der Welt. Was in solchen Zeiten und mit einem solchen mindset florierte, waren identitäre Konzepte, ob sie nun einen „rechten“ oder einen „linksprogressiven“ Gedankenwarenmarker tragen. Der permanente Ausnahmezustand ist, wie es scheint, immer erst ein innerer.
Und jetzt, ganz plötzlich, trägt diese Angst mit einem medizinischen Begriff einen – scheinbar – sehr konkreten Namen. Der Feind ist zwar immer noch unsichtbar. Aber die Virologen können ihn unter dem Mikroskop ausmachen, alle anderen können ihn dem Vernehmen nach wegschrubben, vorausgesetzt freilich, man ist nicht zu alt oder zu krank, zu arm oder zu uninformiert, um noch eine Flasche Desinfektionsmittel ergattert zu haben.
Bei alldem scheinen viele wie nebenbei erst jetzt zu entdecken, dass wir alle in einem gesellschaftlichen Zusammenhang leben, aus dem man sich auch mit noch so viel Geld, Verleugnungen, Ignoranz oder Aggressivität nicht ausklinken kann. Man kann sich nicht außerhalb von etwas stellen, wovon man Teil ist.
Genau darauf aber schien die ganz normale Lebenspraxis der meisten zu zielen: Sie bewegten sich, als gäbe es niemanden um sie herum, und in den Urlaub in die thailändische oder ägyptische Gated Community flog man, um zu erfahren, dass es zuhause eben doch am schönsten ist.
Dort, in den Reihenhauskellern, lagern jetzt Klopapiermaxipackungen und Serbischer Bohneneintopf für die nächsten zwei Jahre. So gepreppert, verrammelt man sich und lugt mit verkniffenen Gesichtern hinter den Gardinen versteckt auf die Straße, nach „da draußen“, wo dem Gefühl nach ohnehin irgendwie schon jeden Tag so etwas wie eine Zombie-Apokalypse zu erwarten stand. Der beispiellose staatliche Einzug der individuellen Freiheiten und der Shutdown des gesamten öffentlichen Lebens wird dabei hingenommen, als handelte es sich um das Allerselbstverständlichste. Wozu sich als verbunden begreifen, warum sich verbinden, wenn der Nächste einen eh nur infiziert?
Doch in der Enge zuhause ist etwas zu entdecken, das noch vor wenigen Wochen auf kaum einer Agenda stand und von dem die Metaphern, die die Endzeitfilme entwickeln, meist nur verdeckt, kryptisch erzählen: Irgendwie befindet sich das Reihenhaus doch auf der Welt. Irgendwie gehört man doch der Menschengattung an. Und wenn das Gemeinwesen das öffentliche Leben fast restlos abgeschafft hat und das individuelle Leben bestimmt, kommt unweigerlich auch die Frage nach der vernünftigen Einrichtung dieses Gemeinwesens auf.
Sigmund Freud versenkte sich vor 120 Jahren mit den Mitteln einer neuen Psychologie in das Subjekt und fand dort, was er nicht suchte, das Gesellschaftliche. Jetzt, in der Isolation, versenkt sich das Individuum zwangsläufig in sich selbst und findet dort, was es nicht suchte, das beiseite geschobene, vergessene oder verleugnete Allgemeine.
Wie etwa bei der Atomangst in den 1980ern setzt jetzt das Virus das Undenkbare auf die Tagesordnung. Man kann es, wie die Filme auf der eingangs zitierten Liste, als Tod und Verderben in allen Variationen ausmalen. Doch nach den ersten Schrecken wird die totale Vernichtung öde. Und der wirkliche Reiz der Zombiefilme besteht nicht darin, dem Tod ins Gesicht zu schauen, sondern sich auszumalen, was man mit der vormals enteigneten Welt, all den Waren, die in der Katastrophe plötzlich wieder zu Dingen werden, anfangen mag.
Das Allgemeine kann man dumpf empfinden, es in Meinungen gießen, diese wiederum zu Ressentiments gerinnen lassen, man kann es bescheidwisserisch als längst abgemacht präsentieren, u.v.m. Doch wenn man etwas anfangen möchte mit der Welt, muss man es zu denken versuchen. Dazu braucht es Mittel.
Was die genannten Katastrophen- und Endzeitfilme allenfalls partikularistisch-kostümiert und ex negativo verhandeln (und die aktuellen Kommentare zur Zeit in Zeitung, Rundfunk, TV, die auf die Statistiken starren wie die sprichwörtliche Maus auf die Schlange, die im Begriff ist, sie zu verschlingen, überhaupt nicht zu denken vermögen), hat die Aufklärung in positiven Begriffen gefasst. Ihre Philosophie denkt es in emphatischen Konzepten und weit ausgreifenden Konstellationen; ihre Geschichtsbetrachtungen und ihre Staatslehre entwickeln es in entschiedenen Entwürfen, durchdrungen von Hoffnung und Zuversicht; ihre Literatur erzählt es voller Freimut und Witz.
Wir sind gewöhnt, das reflexhaft abzutun und wahlweise als naiv, ideologisch, pathetisch, fortschrittsgläubig etc. zu denunzieren. Doch das ist nur eine der Folgen davon, dass der wechselseitige Zusammenhang der eigenen Dinge und der Dinge der Welt in schale Vorstellungen entwichen ist, denen fast immer der Schluss fehlt. Wir sind es gewöhnt, es in sterbenslangweiligen Redensarten auseinandergesetzt, in hilflos zusammengepappten Metaphern verhandelt, in hölzernen Szenarien vorgeführt zu bekommen, die uns in der Rolle des ewigen Zuschauers verhalten. Wir sind es nicht gewöhnt, uns als tätige Menschen ansprechen zu lassen, die bewusst zu wählen, zu handeln, zu erleben imstande sind, wie das Philosophie und Literatur der Aufklärung tun.
Christoph Martin Wielands Koxkox und Kikequetzel. Eine mexikanische Geschichte von 1770 erzählt die Geschichte von Koxkox, der nach einer von einem Kometen ausgelösten weltweiten Sintflut scheinbar allein in einer paradiesischen Landschaft lebt. Der Einsamkeit versucht er zu entgehen, indem er sich tagein, tagaus mit seinem Papagei unterhält. Eines Tages findet er unter einem Rosenstrauch – es hätte, teilt uns der Erzähler mit, aber „eben so wohl ein Balsamstrauch oder ein Rosinenstrauch oder ein Kokospflaumstrauch […] gewesen seyn mögen“ – ein schlafendes Mädchen: „Die Entzückung des armen Koxkox endigte sich mit einem Schauer, der alle seine Glieder durchfuhr, und auf welchen eben so schnell ein Strom von geistigem Feuer folgte, der aus seinem Herzen sich in einem Augenblick durch sein ganzes Wesen ergoß, und jedes unsichtbare Fäserchen davon elektrisch machte. Das Mädchen däuchte ihm das lieblichste unter allen Dingen, die jemahls bei Tageslicht oder Mondschein vor seine Augen gekommen waren.“ Es ist die Nymfe Kikequetzel „(welches in Koxkoxens Sprache ungefähr so viel als Freude des Lebens bedeutet)“. Die beiden werden ein Paar, „oder, richtiger zu reden, machten nun ein Ganzes aus, welches aus zwey Hälften bestand, die, von dem Augenblick an da sie sich gefunden hatten, sich so wohl bey einander befanden, daß nichts als eine überlegene Gewalt fähig gewesen wäre sie wieder von einander zu reißen“. So leben sie in splendid isolation, freuen sich aneinander und an ihrer Welt – bis ein weiterer Überlebender, der zunächst nur „Mann“ genannte herkulische Tlaquatzin, den harmonischen Zweierbund sprengt und das alte Elend der Menschheit wiederzukehren droht. Wenn es für Koxkox und Kikequetzel einen Ausweg aus der Misere gibt, dann ist er – davon erzählt die Geschichte, ständig kommentiert von den „zuweilen sonderbaren und etwas seltsamen Meinungen“ des Filosofen Tlantlaquakapatli – zugleich ein Ausweg für die Menschheit als Ganzes.
In welche Verwicklungen und Verwerfungen das Ringen um den Verstand jedes Einzelnen und der Kampf um die vernünftige Einrichtung des Gemeinwesens führt, das ist dann Gegenstand von Wielands Staatsroman Der goldne Spiegel oder Die Könige von Scheschian. Eine wahre Geschichte aus dem Scheschianischen übersetzt von 1772 und seinem 1780 erschienenen erzählerischen Meisterwerk, dem satirischen Roman Geschichte der Abderiten. Dem goldnen Spiegel ist als Motto vorangestellt: „Inspicere tanquam / In speculum jubeo“. Das Zitat, es stammt aus der Komödie Adelphoe des altrömischen Dichters Terenz, lautet im Ganzen: „inspicere tanquam inspeculum invitas omnium jubeo, atque ex aliis sumere exemplum sibi“, etwa: „Das Leben anderer Menschen sollte als Spiegel betrachtet werden, aus dem wir uns ein Beispiel und eine Verhaltensregel für uns selbst nehmen können“.
Um Geschichte im pragmatischen Sinn geht es im goldnen Spiegel und in der Geschichte der Abderiten so auch, aber vor allem um die Formen, zu denen der Geist findet – oder in die er gerinnt –, und um die verschiedenen Arten von Lebensführung und des Verhaltens des Menschen in der Welt, seinen Zugriff auf seine Realität. Die Abderiten pflegen nach „alt hergebrachter Gewohnheit jedes Ding nur von Einer Seite, und auch da nur ziemlich obenhin“ zu betrachten. Die Begriffe des abderitischen Oberpriesters Stilbon passen nicht auf die Sachen, er „schloß immer richtig aus falschen Vordersätzen, wunderte sich immer über die natürlichsten Ereignisse, und erwartete immer einen glücklichen Erfolg von Mitteln, die seine Absichten nothwendig vereiteln mußten“. Die Bürger von Abdera sind jeder für sich und alle zusammen gewiss, dass man es klüger als sie nicht anstellen kann, doch die Realität hat so eine Art, anders zu sein, als sie sie sich zurechtlegen. Die Geschichte der Abderiten zeigt, dass und wie Denken in die Irre gehen muss, das den inneren Zusammenhang der Dinge ignoriert, und Handlungen fehlgehen, wenn sie verkennen, dass alles in der Welt Bedingungen hat und Wirkungen auslöst: „Die natürliche Folge hiervon war, daß sie selten den Mund auftaten, ohne etwas albernes zu sagen. Zum Unglück erstreckte sich diese schlimme Gewohnheit auch auf ihre Handlungen; denn gemeiniglich schlossen sie den Käfig erst, wenn der Vogel entflogen war.“
All das erzählt Wieland mit Heiterkeit und Ironie. Die eigenen Dinge und die Dinge der Welt werden als wechselseitig zusammenhängend gezeigt und so mit einer Perspektive versehen verhandelt. Als das Ende der Menschheit allenfalls als eine Folge der Übermacht der Natur vorstellbar und die Totalvernichtung des Menschen durch den Menschen im 20. Jahrhundert nicht einmal als Potential erdenklich war, war das noch möglich, ohne in die Abgründe zu starren und/oder abzurutschen, von denen wir uns allenthalben umgeben finden. Das, diese heitere Ironie, dieser freie, frische Zugriff auf die Dinge, hilft, gerade im Kontrast, gegen Verunsicherung und Angst, gegen grassierenden Zynismus und sonstige Anzeichen von Frühvergreisung, die im derzeitigen Zustand vollendeter Trennung voneinander entstehen und uns in Beklemmung und Depression, Konfusion und Erstarrung verhalten. Sie hilft, uns vor Augen zu führen und uns dabei zusehen zu lassen, worin wir sind, während wir darin sind.
Literatur
Christoph Martin Wieland: Koxkox und Kikequetzel. Eine mexikanische Geschichte, Nördlingen 1985 (1770).
Christoph Martin Wieland: Der goldne Spiegel oder Die Könige von Scheschian. Eine wahre Geschichte aus dem Scheschianischen übersetzt. In: Wielands Werke. Historisch-Kritische Ausgabe. Hg. von Klaus Manger und Jan Philipp Reemtsma, Band 10.1/1. Bearb. von Hans-Peter Nowitzki und Tina Hartmann. Berlin, New York 2008 (1772), 1–358.
Gotthold Ephraim Lessing: Ernst und Falk. Gespräche für Freimäurer, Frankfurt/M. 1968 (1778).
Christoph Martin Wieland: Geschichte der Abderiten, Stuttgart 2003 (1780).
Immanuel Kant: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. In: Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. XI/1: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik, Frankfurt/M. 2000 (1784).
Friedrich Schiller: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? Stuttgart 2006 (1789).
Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, Stuttgart 2008 (1795).
Dominic Angeloch // Chefredakteur der Psyche. Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen und Dozent für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Derzeit habilitiert er zur Frage der Vermittlung von Erfahrung über Literatur.
Tag 28
Michael Cuntz:
Pascals Katzen: als ob, Unentscheidbarkeit und Entscheidungen in der Epoche des Coronavirus
In einer seiner berühmtesten Pensées, jener der Wette, legt Pascal oder wer immer da spricht, seinem Adressaten, dem notorischen Ungläubigen oder libertin, nahe, seine Skepsis und Zweifel gegenüber der Existenz der göttlichen Gnade doch einfach hinter sich zu lassen und sich an jenen zu orientieren, die ihm auf dem Weg zum Glauben vorangegangen sind: „c’est en faisant comme si“, also indem diese so tun, als ob sie glaubten und ihre Handlungen danach ausrichten. Da Menschen ebenso sehr Maschine oder Automat – denn das ist für Pascal der Körper – wie Geist seien, wie er an anderer Stelle ausführt, müsse man aus dem Glauben einfach eine Gewohnheit machen, der Geist folge dann früher oder später schon nach.
Ohne Zweifel wird in der Epoche des Coronavirus sehr vieles davon abhängen, wie es uns gelingt, neue physische Gewohnheiten, ja eine ganz neue Choreographie des Sozialen, neue Verkehrsregeln zu entwickeln, in denen Abstand der neue Anstand ist. Aber ich denke keinesfalls, wie Pascal es tut, dass sich die Gewohnheit wider den Geist durchsetzen soll und kann. Wenn ich vorschlage, seine Maxime des „so tun als ob“ in einer Re-Konversion von Gott und der Transzendenz abzuwenden und auf das bedrohliche virale Geschehen der Immanenz anzuwenden, müsste ganz im Gegenteil der Geist – und auch die Phantasie, die Vorstellungskraft des Möglichen – vorausgehen.
Andernfalls landet man bei jenem falschen als ob, das sich allenthalben, offenbar vor allem in Deutschland beobachten lässt: Jenem der Heuchler, die so tun, als ob sie sich an die Regeln des social distancing hielten, vor allem dort, wo es klare moralische Inskriptionen wie Abstandsindikatoren an Supermarktkassen gibt, tatsächlich aber nur offensichtliche Verstöße vermeiden, sich jedoch, sobald unbeachtet, weiterhin nicht die Hände waschen, in die sie weiterhin herzhaft husten und niesen, an Ostern und auch sonst Familienbesuche machen, mit Freundinnen in trauter Nähe spazieren gehen, joggen, zusammenstehen, sich zu Hause treffen, das Tragen von Masken als unerhörte Einschränkung ihrer persönlichen Freiheiten empfinden oder sich ungeduldig an anderen vorbei- oder an sie herandrängen, um rasch ein Produkt aus dem Supermarktregal zu greifen, gerade so als hinge davon ihr Leben ab, dieses unverzüglich in die hamsternden Hände zu bekommen. Mit all dem reproduzieren sie nur die alten Formen sozialer Nähe und Distanz: Wird die Realität der Gefahr des Virus überhaupt anerkannt, so geht diese natürlich immer nur von Fremden aus und die sind ihnen egal.
Die Formen des „comme si“, des als ob, um die es mir geht, nach denen wir unser Handeln ausrichten könnten, sind hingegen einigermaßen anspruchsvoll.
Denn zuerst geht es um ein als ob der Ununterscheidbarkeit, in dem wir uns selbst und die anderen so behandeln wie Schrödingersche – oder eben Pascalsche – Katzen.
Denn, um von zeitnahen Impfungen gar nicht erst zu phantasieren: Sollte man nicht so lange, wie flächendeckende Coronatests nicht existieren und noch nicht einmal klar ist, ob überlebende Erkrankte überhaupt immun sind und im Wissen, dass es massenhaft asymptomatische Verläufe gibt, es also ebenso wenig verlässliche Zeichen für die Trägerschaft der Infektion gibt wie für jene der göttlichen Gnade im jansenistischen Glaubenssystem –so handeln, als ob man selbst infiziert sei? Ja, aber das reicht nicht aus. Anders als in Pascals letztlich asozialem System, in dem sich alles zwischen dem Einzelnen und Gott abspielt, kommen hier auch die Anderen ins Spiel.[1] Und es reicht eben nicht aus, wie in der Pascalschen Wette nur auf eine Seite in der Gnadenlotterie zu setzen. Stattdessen müssten wir für uns selbst wie für alle anderen den binären Ausschluss des Dritten suspendieren und von einer Überlagerung der beiden Zustände infiziert/nicht infiziert ausgehen.
Nur wenn jede/r einzelne so handelt, als ob er/sie bereits infiziert sei und somit alles tut, um zu verhindern, dass Andere infiziert werden – zum Beispiel Masken tragen, auch wenn – oder gerade weil – diese eher vor dem Träger als den Träger selbst schützen – lässt sich die Ausbreitung der Infektion tatsächlich bremsen (damit erübrigt sich dann auch die Absurdität der Empfehlung, nur Infizierte sollten Masken tragen – denn auch dieser Rat tut ja noch so, als ließe sich zwischen Infizierten und Nichtinfizierten unterscheiden). Und dies bedeutet automatisch, alle anderen so zu behandeln, als ob sie nicht infiziert seien und somit vor der Infektion geschützt werden müssen. Dies ist die Rollenverteilung der Rücksicht. Aber diese muss permanent überlagert werden von der umgekehrten Rollenverteilung der Vorsicht. Denn gleichzeitig muss jede/r einzelne davon ausgehen, selbst nicht infiziert zu sein und ausnahmslos alle anderen als infiziert anzusehen.
Nur dieses Aushalten der Unentscheidbarkeit, das permanente Oszillieren zwischen beiden Positionen, kann die physischen, aber auch die psychischen Gefahren dieser Pandemie eindämmen und abmildern. Wer ausschließlich im Modus der Vorsicht agiert, wird paranoid und egoistisch werden und alle anderen nurmehr als Bedrohung oder Feinde wahrnehmen. Wer allein im Modus der Rücksicht handelt, setzt möglicherweise seine eigene Gesundheit aufs Spiel – tragischerweise wird vielen Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, kaum etwas anderes übrigbleiben, als sich auf diesen Modus zu konzentrieren. Doch andernorts wird sich so viel Selbstlosigkeit eher selten finden. Wer sich einredet, sicher infiziert zu sein, ohne es zu wissen, wird eher denken, nun nichts mehr zu verlieren zu haben oder bereits immun zu sein und darüber gleichermaßen Vorsicht wie Rücksicht verlieren. Nur die Überlagerung beider Modi in unserem Denken garantiert, dass wir die Selbstsorge mit der Verantwortung für andere verbinden.
Nur, wenn wir ausnahmslos alle, also auch die uns Nahstehenden, die nicht umsonst so heißen, auch so behandeln, als ob sie bereits infiziert seien und deswegen ungewohnten, befremdenden Abstand zu ihnen halten, werden wir zumindest einige von diesen davon überzeugen, auch uns als potentiellen Krankheitsbringer zu behandeln. Um die Nächsten zu schützen, muss man ihnen ein Stück weit misstrauen und sie dazu bringen, einem auch zu misstrauen. Dies erscheint „widernatürlich“ – und doch könnten wir so tun, als ob die Pandemie uns lehren könnte, das Soziale anders und besser zu denken. Denn der Impuls, die Nächsten und Eigenen um sich zu scharen, ist nur die Kehrseite des allein menschengemachten Virus der Xenophobie, das wir allerorten in der Pandemie um sich greifen sehen und in der die Einfältigen so handeln, als ob man sich nur bei Fremden anstecken könne (und sich dabei umso rascher untereinander anstecken), weil die Bedrohung natürlich immer von außen kommt. Wir könnten so tun, als ob es möglich wäre, endlich nicht mehr den Überbringer für die Botschaft verantwortlich zu machen und somit den Kategorien- und Zuschreibungsfehler zu begehen, die tatsächlichen Agency-Verhältnisse zu verzerren (so wie sich rechtsextreme Verschwörungstheoretiker in ihrer Unfähigkeit, zu denken ja ohnehin dadurch „auszeichnen“, keine nichtmenschliche Handlungsmacht denken zu können), in denen Menschen nur Personalmedien für den Akteur, das Virus, sind, das von ihnen Besitz ergriffen hat (es sei denn, sie handeln verantwortungslos und tragen durch ihre Verantwortungslosigkeit dazu bei, das Virus weiter zu verbreiten wie die Trumps und Bolsonaros dieser Welt und ihre asozialen Kolonnen).
Hat man einmal damit begonnen, im Modus des als ob zu denken und zu handeln, ergeben sich weitere als ob:
Wir könnten so tun, als ob unsere individuellen Rechte auf Freizügigkeit, Selbstverwirklichung, etc. nur so weit reichen, wie sie die Gesundheit und das Leben anderer Menschen und anderer Entitäten unseres Planeten beeinträchtigen, gefährden und zerstören.
Wir könnten auch so tun, als ob sich nicht die derzeitige Ökonomie, in der auf einiges Unwesentliche verzichtet werden muss und sichtbarer wird, was vor allen Dingen relevant ist, die Züge einer Kriegsökonomie trägt, sondern dass es unsere normale, unsere „Friedens“ökonomie ist, die erbarmungslos Krieg führt gegen prekär Arbeitende, den globalen Süden, nichtmenschliches Leben und die Ökosphären unseres Planeten.
Wir könnten so tun, als ob das Coronavirus ein Gegenschlag ist, den Gaia gegen uns führt in diesem Krieg, den wir ‚ihr‘, oder weitaus eher ihnen, erklärt haben, eine Art letzter Warnung (vor allem, wenn wir so tun würden, als ob wir verstanden hätten, dass Gaia keine Person ist, sondern ein gigantisches Kollektiv, eine Organisation miteinander kooperierender und interagierender Entitäten). Wir könnten so tun, als ob es kein Zufall wäre, sondern einen Sinn hat, dass es eine Erkrankung unserer Lungen ist, die unserem erstickenden Planeten eine Atempause verschafft. Wir könnten so tun, als ob es uns etwas lehren sollte, dass wir beobachten können, wie die Erde ohne uns aussieht, wie Smogwolken verschwinden, Wasser wieder klar wird, Feinstaub sich reduziert und Tiere sich freier bewegen können – etwa, dass die Erde auch mit uns so aussehen müsste, um weitaus größere Katastrophen als Covid-19 noch abzuwenden.
Wir könnten so tun, als ob es möglich wäre, ein System, ein Regime, das uns an den Abgrund führt, allen neoliberalen und rechtsextremen Corona- und Klima-, oder kurzum Realitätsleugnern zum Trotz, tatsächlich global zu stoppen und zu modifizieren.
Wir könnten so tun, als ob wir hätten lernen sollen, dass die Normalität, in der wir uns vor der Pandemie befunden haben, keine Notwendigkeit ist, sondern eine Maschine, in deren Laufen, deren régime also, unseren Gewohnheiten und unsere Vorstellungskraft eingesperrt waren wie in einer Sucht oder einer Sekte, bei der man sich, ihr einmal entkommen, fragt, weshalb sie einen so lange gefangen hielt.
Wir könnten so tun als ob, was einmal durch ein anderes Regime unterbrochen wurde, nicht wieder von neuem laufen müsste, so als ob nichts geschehen sei. Und dass auch in einer neuen Normalität, einem neuen Regime gelten müsste, was für den Umgang mit der Pandemie notwendig ist.
Und mit Pascal ließe sich fragen: Welches Übel würde uns daraus entstehen, wenn wir so handeln würden?
[1] In Pascals Mimesis ist nur das äußere Verhalten anstecken, die Gnade hingegen kann, anders als das Virus, nicht weitergegeben werden.
Michael Cuntz // Romanist und Medienwissenschaftler in Weimar bzw. Berlin; Verfasser einer Studie zu Blaise Pascal unter dem Titel Der göttliche Autor (2004); profunder Kenner der französischen Technikphilosophie und Wissenssoziologie; arbeitet aktuell u.a. an einem Projekt zu „Schutzmilieus“.
Tag 29
Dunja Bialas:
Die größte Weisheit der Menschen
Wie kann, wie wird die Geschichte von Corona enden? Ein Ausblick auf die Zukunft
Nicht das Ende steht am Ende dieser dreißig Tage. Sondern ein dem Englischen entnommener Terminus: Exit. Exit hat als identischer Reim zu Brexit Konjunktur, ein Wort, das modern klingt, weil es technisch, vielleicht sogar technokratisch und vor allem kurz ist, ein kurzes Schlagwort. Exit ist, was uns den Weg nach draußen weist, den Ausgang oder Ausstieg. Wenn wir ihn erst gefunden haben, können wir wieder hinausgehen, nach den Wochen der Einschließung. Ein Ende im starken Sinn jedoch ist nicht in Sicht.
Anders als Exit hat im Deutschen Ausgang eine doppelte Bedeutung: Der Ausgang einer Geschichte bedeutet auch ihr Ende. Das Wort „Exit“ auf einem Schild weist uns aber auch den Weg zum Notausgang, der Abkürzung ins Freie, zur Tür, die wir im Notfall öffnen können. Statt Exit könnte man wiederum auch lateinisch exitus sagen. Exitus, der Ausgang, aber auch exitus, der Tod. Ein Begriff, der die Gefahr mitformuliert, wenn wir jetzt den Notausgang nehmen.
All diese Wortbedeutungen geraten in den letzten Tagen miteinander in Schwingung. Man möchte, dass die Tage von Corona aufhören, und liest dann von den Worten des Zukunftsforschers Matthias Horx, Corona werde „niemals vorbei“ sein[1]. Man möchte den Ausnahmezustand verlassen, mit Giorgio Agamben zum Normalzustand zurückfinden[2]. Ich wünsche mich an einen Ort, an dem es kein Corona gibt. Angeblich liegt dieser mitten im Pazifik, in Gestalt kleiner Südseeinseln, einer coronafreien Heterotopie. In der Nacht träume ich davon, an einer sandfarbenen Steilküste zu sein, die Gischt der Wellen vor mir, über mir Sonne. Ich schlafe sehr lange, bleibe hinter dieser Tür, die mir der Traum geöffnet hat. Mein Eskapismus.
Innehalten auf der Schwelle zum Exit
Die „Öffnungsdiskussionsorgie“ (Angela Merkel)[3] um den Exit wird dieser Tage begleitet von dem wiederkehrenden Satz: Nach Corona wird es nie wieder so sein wie vorher. Mit Nachdruck elaboriert von Slavoj Žižek[4] in der Neuen Zürcher Zeitung in seiner Antwort auf Agambens „L’invenzione di un’epidemia“[5], dessen Standpunkt er vor wenigen Tagen für den deutschen Sprachraum erneuerte[6]. „Der Mensch wird nicht mehr derselbe gewesen sein“, schreibt Žižek, im Futurum exactum der hellseherischen Gewissheit. Wie die Menschen mit Corona umgehen, haben wir in den letzten Wochen erlebt. Die Überlegung, was Corona aus ihnen macht oder auch gemacht haben wird, lässt einen auf der Schwelle zum Exit innehalten. „Was macht die Pestilenz mit den Menschen und aus den Menschen?“, fragt auch Bernhard Teuber am 21. Tag des Triakontameron, „und was bleibt überhaupt vom Menschen?“[7]
Wenn es wiederum bisweilen heißt, dass „Corona das Beste in uns“ hervorrufe[8], dann oft mit Blick auf die Hybris der modernen Zeit, in der nicht nur die Wirtschaft nach ständigem Wachstum strebt, sondern auch der Mensch in der Selbstoptimierung stetig wachsen soll, jedoch nicht unbedingt über sich hinaus. Brot zu backen dient dann als willkommenes Zeichen der Entschleunigung, das Gemüse selbst anzubauen als gesunde Überwindung urbaner Natur-Entfremdung.
Auch die allenthalben sich ereignende Solidarität wird als das Beste gesehen, das dem Menschen von Corona zugetragen wurde, mit der es aber abgesehen von der Nachbarschaftshilfe und dem rücksichtsvollen Verzicht auf den Besuch der als „risikobehaftet“ identifizierten Bevölkerungsgruppen nicht sehr weit her ist, wenn die Tafeln für die Bedürftigen schließen. Der Blick verengt sich in der Einsamkeit unserer derzeitigen Existenz wie das Wohnzimmer, in dem wir tagaus, tagein sitzen, auf die allernächsten Mitmenschen. Der Blick schweift nicht in die Ferne. So musste Luxemburg den einsamen Anfang machen, zwölf unbegleitete Flüchtlinge aus einem überfüllten Lager in Griechenland zu holen, bevor Deutschland mit 47 Kindern und Jugendlichen nachzog. Insgesamt sollen über 1500 von ihnen auf die EU verteilt werden, die Bereitschaft dazu ist jedoch gering.
Corona reinstalliert die Ländergrenzen und suspendiert den vereinbarten internationalen Solidarpakt. In einer Zeit, in der die Worte „Handel“, „Austausch“ und „Migration“ wie infektiöse Versprechungen klingen, schotten sich die europäischen Länder voneinander ab und verfolgen in einem makaberen Grand Prix d’Eurovision die gegenseitigen Totencharts. 10.000 Intensivbetten und 150.000 Betten auf „Normalstationen“ seien frei, verkündet[9] Deutschland stolz, während in den Nachbarländern die Krankenhäuser kollabieren. Corona, das von China ausging, kurze Zeit später zum Stigma der Europäer wurde und nun zu Donald Trumps Albtraum, wird zum Symptom einer ungerechten, angstvollen und vorurteilsbeladenen Biopolitik. Agamben weist bereits 2003 auf die „unmittelbar biopolitische Bedeutung des Ausnahmezustands“[10] hin.
Die biopolitisch motivierte nationale Abschottung lässt auch vermuten, dass es in der Folge des über die Grundrechte triumphierenden Infektionsschutzgesetzes (so der ehemalige Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung[11]) kaum eine Erstarkung der demokratischen Kräfte geben wird. Vielleicht erwartet uns eine effektivere Umsetzung der Klimaschutzvorgaben, da wir erkannt haben, wie fragil unsere Zukunft sein kann, vermutlich aber werden die wirtschaftlichen Motoren, sobald es die Hygienebedingungen erlauben, wieder auf Hochtouren gebracht. Es gilt schließlich, den Verlust an Produktion und Umsatz wettzumachen und das auf die essentialistischen Aspekte oder „das nackte Leben“[12] heruntergefahrene Bio-System wieder auch ökonomisch zum Laufen zu bringen.
Das Digitale übernimmt die Wirklichkeit
Neben diesen moralisch-politischen Verwerfungen gegen die Frei- und Großzügigkeit dient Corona auch als Gelegenheit, eine seit Jahren verfolgte Entwicklung voranzutreiben, die das Humane dem Technoiden unterwirft. „Corona verändert unser aller Leben“, eine Äußerung der bayerischen Ministerin für Digitales, Judith Gerlach[13], darf als Chiffre dafür gelten, dass das Digitale von nun an die Wirklichkeit übernehmen wird. Videokonferenzen wurden angesichts der gebotenen räumlichen Isolierung der Menschen ohne nennenswerten Widerstand installiert und spielen nun erfolgreich ihre Benefits aus. Das TV-Dinner meint nicht mehr die auf den Knien balancierte Pizzaschachtel, während wir uns als gesellschaftsverweigernde Slacker dem Fernsehgeschehen überlassen, sondern sollen nun gemeinschaftsbildend sein, wenn wir unseren Mitmenschen im Bildschirm eine gute Mahlzeit wünschen. E-Learning und Distant-Teaching machen Raumprobleme obsolet und verkürzen den Weg zur Arbeit, Webinars machen die Lehre zeitunabhängig und jederzeit verfügbar, dank Streaming kommen die kulturellen Erzeugnisse – Konzerte, Lesungen, Filme – zu uns ins Wohnzimmer. Wir müssen nicht mehr hinaus.
„Wie sich fortbewegen, ohne sich zu bewegen?“ fragt Paul Virilio in seinem Essay Rasender Stillstand[14]. Im Gegensatz zur extensiven Zeit, deren auch raumgreifende Ausdehnung durch die „physischen Transportmittel“ garantiert wird, ist „das Zeitalter der intensiven Zeit dasjenige des Auf-der-Stelle und der häuslichen Bewegungslosigkeit.“ Es sei das „Zeitalter des Telekommunikationsmittels“[15], so Virilio im Jahr 1990. Betrachtet man, wie im letzten Jahrzehnt das Digitale unser Leben durchdrungen hat und welche medialen Prothesen ersonnen wurden, um den analogen Raum zu überwinden, so bietet Corona nun die Möglichkeit, den digitalen Zugriff auf die Wirklichkeit zur einzigen Erfahrbarkeit von Welt werden zu lassen. Zentral ist die Suspendierung des Raums, der ersetzt wird durch die zeitliche Simultanität der Direktübertragung. „Die teleoptische Wirklichkeit setzt sich gegen die topische Wirklichkeit des Ereignisses durch“[16], schreibt Virilio, in ihr ersetze „die realzeitliche Kontinuität die Abwesenheit der Kontiguität des realen Raums“[17]. Das ist die paradoxe, aber als Fortschritt gehandelte Möglichkeit der Praesentia in absentia. Anwesend zu sein ohne da zu sein ist der Triumph der Zeit über den Raum.
Die nackte Message
Die retro-futuristisch anmutende „Teletopie“[18] war eine frühe Beschreibung digitaler Kommunikationsformen, von denen Virilio noch nichts wusste, die jedoch das technologische Primat über die Physis vorwegnahm. Dies tangiert in heutigen Tagen selbst zutiefst humane Rituale wie eine Beerdigung. In Italien werden Bestattungen nun auch via Streaming übertragen, wie in der Turiner Chiesa Maria Madre dei Giovani, oder per Smartphone für die Hinterbliebenen aufgezeichnet, die aufgrund der eigenen Infektion nicht am Friedhof sein dürfen.
Wenn Technologie ermöglicht, von der performativen, religiösen oder kultischen Praxis nur mehr den Content, die nackte Message, übrig zu lassen, heißt Digitalisierung im Zeichen von Corona auch die grundlegende Entmenschlichung des Lebens. Der russische Internettheoretiker Evgeny Morozov warnt so auch vor dem staatlichen „Solutionismus“, den digitale Anwendungen verheißen, ad hoc pragmatische Maßnahmen und „Survivaltech“ für die Bürger bereitzustellen[19], wie es jetzt mit der datenschutzfreundlichen Kontakte-App und den vom Robert-Koch-Institut propagierten biologischen Datenspenden konsensual als praktikabler Ausweg aus der Corona-Einschließung erscheint.
Mit der Abkehr von Ritualen im Zuge des Verlusts räumlichen Da-Seins wird stillschweigend auch die Kultur verabschiedet, die nach einer gesellschaftlichen Praxis der Zusammenkünfte an kulturellen Stätten wie Museen, Theatern, Operhäusern oder Kinos verlangt. Die Aura eines Gemäldes kann nur in einem psycho-physischen Erfahrungszusammenhang erlebt werden, der auf rituelle, religiöse Praktiken zurückgeht. „Das Hier und Jetzt des Kunstwerks – sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet“, schreibt Walter Benjamin, konstituiere wesentlich die „Aura“[20]. Wenn nun Ausstellungsrundgänge, Theater- und Opernaufführungen sowie Konzerte per Stream angeboten werden, verlieren sie mit der Nichtteilbarkeit des Raumes diese Aura und distanzieren sich in der technischen Live-Übertragung, deren Apologeten das rituelle und partizipative Wesen von Kultur verkennen.
Der Rückzug in die Erinnerung
Die Kammer-Konzerte, in denen sich die privaten Räume der Musizierenden über den Screener verteilen, geraten so auch zur erbaulichen Propaganda, dass der Verlust der Kultur durch derartige „Events“ zu substituieren sei. Noch schlechter steht es um den Film. Seit seiner Digitalisierung, die nur dem Zweck diente, eine schnellere Online-Verfügbarkeit zu gewährleisten, wie David Bordwell 2012 ausführte[21], befindet sich nicht der Film, jedoch seine kultische Abspielstätte, das Kino, in der Defensive. Corona hat die Streamingdienste nun zu den Profiteuren der globalen Gesundheitskrise gemacht. Die grundsätzlich angenommene Substituierbarkeit von Kultur durch das kulturelle Produkt ist ein fataler Irrtum der gegenwärtigen Exit-Strategie. Sonja Zekri diagnostiziert in der Süddeutschen Zeitung so auch einen „Kulturbruch“ und verweist auf das Vergessen der Kultur durch die Politik: „Museen, Kinos oder Theater finden derzeit nicht nur laut Programm nicht statt, sie spielen auch in den öffentlichen Überlegungen so gut wie gar keine Rolle.“[22]
Kulturelle Veranstaltungen wurden noch vor den Fußballspielen als „nicht notwendig“ untersagt, Museen, Theater und Kinos geschlossen, wobei letztere als privatwirtschaftlicher Sektor das alleinige Risiko für den existentiellen Schaden tragen. Nicht „systemrelevant“ zu sein ist das Stigma, das die Künste dem Untergang preisgibt. Von der Politik wird die Schönheit, eine der staatsbildenden Kräfte der platonischen Polis, leichtfertig ins Private verlagert. Bei Platon bilden Gesundheit, Schönheit, Stärke und Reichtum[23] ein nichttrennbares Ganzes, in einem allumgreifenden System. Warum nicht in unserem Staat?
Gegen den kulturellen Verlust hilft nurmehr der Rückzug in die Erinnerung, die Eskapaden in die Träume, das Hineintauchen in die Archive, Datenbanken und Texte, das Teilen der Lese- und Denkerfahrungen in weiteren Texten und Projekten wie dem Triakontameron. Aber auch der Blick in die Zukunft als überhaupt einzig denkbarer Ausgang dieser Corona-Geschichte hilft. Giovanni Boccaccios als letzter Geschichtenerzähler eingesetzter „König“ resümiert zum Ende des Decamerone: „Wie ich glaube, wisst ihr, reizende Damen, dass die Weisheit der Sterblichen nicht allein darin besteht, sich des Vergangenen zu erinnern oder das Gegenwärtige zu erkennen, sondern, wie von den klügsten Männern für die größte Weisheit erachtet wird, aus dem einen und dem anderen das Zukünftige vorherzusehen.“[24]
Anders, als wir den Exit von Corona dazu nutzen werden, wieder hinauszugehen und uns unter die Menschen zu mischen, schlagen die Menschen des Decamerone den umgekehrten Weg ein. „Die Damen aber kehrten, als es ihnen an der Zeit schien,“ – und mit diesen lapidaren Worten endet das monumentale Werk – „in ihre Wohnung zurück.“[25]
[1] Matthias Horx, „Die Corona-Rückwärts-Prognose: Wie wir uns wundern werden, wenn die Krise ‚vorbei’ ist“, in 48 – Die Welt nach Corona, hrsg. von Zukunftsinstitut Horx, Wien 2020 (https://www.horx.com/48-die-welt-nach-corona/).
[2] Vgl. Giorgio Agamben, Ausnahmezustand, dtsch. von Ulrich Müller-Schöll, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2004 (S. 8).
[3] Pressekonferenz, 20.4.2020 (https://www.tagesschau.de/inland/merkel-lockdown-101.html).
[4] Slavoj Žižek, „Der Mensch wird nicht mehr derselbe gewesen sein: Das ist die Lektion, die das Coronavirus für uns bereithält“, in Neue Zürcher Zeitung, 13.03.2020
(https://www.nzz.ch/feuilleton/coronavirus-der-mensch-wird-nie-mehr-derselbe-gewesen-sein-ld.1546253).
[5] Giorgio Agamben, „L’invenzione di un’epidemia“, in Quodlibet, 26.02.2020, Rom
(https://www.quodlibet.it/giorgio-agamben-l-invenzione-di-un-epidemia).
[6] Giorgio Agamben, „Zum Umgang der liberalen Demokratien mit dem Coronavirus: Ich hätte da eine Frage“, in Neue Zürcher Zeitung, 15.04.2020 (https://www.nzz.ch/feuilleton/coronavirus-giorgio-agamben-zum-zusammenbruch-der-demokratie-ld.1551896?reduced=true).
[7] Bernhard Teuber, „Kreatürlichkeit“, in Triakontameron, Tag 21, 2020 hrsg. von Martina Bengert, Jörg Dünne, Max Walther (http://triakontameron.de/die-dritten-zehn-tage/#tag-11).
[8] Frank-Walter Steinmeier, Fernsehansprache vom 02.04.2020
(https://www.youtube.com/watch?time_continue=3&v=yRahvudBXRU&feature=emb_logo).
[9] Tagesschau, 16.04.2020 (https://www.tagesschau.de/inland/krankenhaeuser-op-101.html).
[10] Agamben (2003), S. 9
[11] Hans-Jürgen Papier, „Selbst in Kriegszeiten werden die Grundrechte nicht angetastet“, Interview von Wolfgang Janisch und Nicolas Richter, in Süddeutsche Zeitung, 02.04.2020 (https://www.sueddeutsche.de/politik/coronavirus-grundrechte-freiheit-verfassungsgericht-hans-juergen-papier-1.4864792?reduced=true).
[12] Vgl. Giorgio Agamben, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, dtsch. von Hubert Thüring, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002; und Giorgio Agamben, „Wir sind nurmehr das nackte Leben. Wie das Virus nicht nur uns selbst, sondern die ganze Gesellschaft infiziert“, in Neue Zürcher Zeitung, 19.03.2020 (https://www.nzz.ch/feuilleton/giorgio-agamben-ueber-das-coronavirus-wie-es-unsere-gesellschaft-veraendert-ld.1547093?reduced=true).
[13] Vgl. Dunja Bialas, „Auf ein Neues! Das Filmfest München wurde Corona-bedingt abgesagt. Digitalministerin Gerlach und Festivalleiterin Iljine kündigen für das nächste Jahr eine ‚Neuausrichtung’ an“, in artechock, 09.04.2020 (https://www.artechock.de/film/text/artikel/2020/04_09_filmfest_2020.html).
[14] Paul Virilio, Rasender Stillstand, dtsch. von Bernd Wilczek, Frankfurt a.M.: Fischer 1998, S. 32.
[15] Virilio (1998), S. 44.
[16] Virilio (1998), S. 31.
[17] Virilio (1998), S. 29.
[18] Virilio (1998), S. 29.
[19] Evgeny Morozov, „The tech ‘solutions’ for coronavirus take the surveillance state to the next level“, in Guardian, 15.04.2020 (https://www.theguardian.com/commentisfree/2020/apr/15/tech-coronavirus-surveilance-state-digital-disrupt).
[20] Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994, S. 11ff.
[21] David Bordwell, Pandora’s Digital Box: Films, Files, and the Future of Movies, Wisconsin: The Irvington Way Institute Press, 2012.
[22] Sonja Zekri, „Der Mensch ist mehr als eine abwaschbare Oberfläche“ (Titel der Printausgabe: „Kulturbruch“), in Süddeutsche Zeitung, 18.04.2020 (https://www.sueddeutsche.de/politik/corona-kultur-kunst-1.4879633).
[23] Vgl. Platon, Nomoi, dtsch. von Franz Susemihl, Stuttgart 1862, Edition Opera Platonis, S. 7 (http://www.opera-platonis.de/Nomoi.pdf).
[24] Giovanni Boccaccio, Das Dekameron, dtsch. von Karl Witte (1859), durchgesehen von Helmut Bode (1952), Frankfurt a.M.: Fischer 1962, S. 587.
[25] Boccaccio (1962), S. 589.
Dunja Bialas // Romanistin und Filmkritikerin, leitet in München die Redaktion des Filmmagazins „artechock“ und das internationale Filmfestival Underdox. Sie ist freie Kritikerin für den „Tagesspiegel“, „Spiegel online“ und „Filmdienst“ und unterrichtet „Praxis der Filmkritik“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Tag 30
Gomes/Thermann:
Incubus. Der pandemische Text
1962 schrieb William Burroughs von Sprache als einem Virus. „Language is a virus.“ Das klang damals und klingt auch heute noch griffig und es lässt sich, wie Laurie Anderson gezeigt hat, hervorragend Pop-Musik daraus machen. In Wirklichkeit aber stimmt das mit dem Virussatz nicht ganz. In Wirklichkeit müsste man die Terme umkehren: „A virus is language.“ So herum. Was sich alles mit viraler Eloquenz in die Welt einzuschreiben vermag, sieht man beispielsweise jetzt. Mit der Schreibwucht von Nukleinsäuren kann keine Literatur mithalten.
Da das Phänomen, das die Welt in Atem hält, sprachlich und linearnarrativ kaum fassbar ist, greift die Welt auf Zahlen, Diagramme, Kurven zurück. Was sich der Erzählung entzieht, muss im Raum ausgebreitet und veranschaulicht werden. Nur das Schaubild scheint in diesen Zeiten Bestand zu haben. Im Angesicht dieser visuellen Übermacht muss Literatur – will sie denn lesbar bleiben – umdisponieren. Sich anpassen. Im Jargon der Gegenwart heißt das: Antikörper bilden, und um Antikörper zu bilden, muss man sich entweder impfen oder infizieren lassen. Da es für Impfungen noch zu früh ist, blieb uns als literarische Methode nur die Ansteckung.
Der pandemisch-virale Text veranschaulicht, inszeniert, feiert, verteufelt, nutzt die Lebensformen der Ansteckung als literarisches Prinzip. Will heißen: Wir versuchen die Arbeitsweise des Virus, dieses mächtigen Unsichtbaren, nachzuahmen. Ansteckung als formales Verfahren – ein Textorganismus steckt den oder die nächsten Textorganismen an; Ansteckung als semantisches Verfahren – eine Bedeutung entzündet die nächste; Ansteckung als produktionsästhetisches Verfahren – der Text des einen facht den Text des anderen an; Ansteckung als Verfahren der Globalisierung – die Texte spiegeln die internationale Verflechtung der Welt wider, ökonomisch und sozial; Ansteckung als latenter semantischer Code – die Semantik der Coronawelt, von Hufeisennasen bis zur Skihüttenparty, vom obsessiven Händewaschen bis zum Rindertalgexport in Postpanamaxschiffen, wird verschleiert, verdreht, entfremdet.
Als Burroughs in den 1960ern von der Sprache als Virus schrieb, war das prominenteste Virus des späten 20. Jahrhunderts – heute weiß man das – bereits im Umlauf. Bis man es Anfang der 80er mit dem Namen HIV versah, verbreitete es sich unsichtbar, unerkannt weiter. Diese virale Latenz scheint uns nachahmungswürdig. So wird in unserem zugegebenermaßen sehr auf die Schnelle eingerichteten literarischen Labor – eigentlich bräuchten wir zwei Superrechner und mehrere hundert Mitarbeiter – eine präpandemische Uchronie modelliert. Eine Gegenwart, die (zumindest scheinbar) noch coronafrei ist und in der die Pandemie lediglich als Gespenst umgeht. Als Möglichkeit. Als Sci-Fi-Phantasie. Als Ungesagtes oder Unsagbares. Als Alptraum.
Für das Experiment greifen wir in Ermangelung angemessenerer Mittel auf ein Werkzeug zurück, das derzeit für Onlineunterricht, Onlinemeetings, Onlinegeschäfte vermehrt im Einsatz ist. Dieses Werkzeug wurde von uns zweckentfremdet und zur Do-it-yourself-Virenschleuder (oder zum Impflabor, wie man es nimmt) umfunktioniert. Zu sehen ist in dem jetzigen Stadium nur ein Diagrammstumpf. Ein früher Ausbruch. Wie die angelegte Fiktion weiterwuchert und wie das Gebilde später aussehen mag, kann man sich aber anhand dieses Ansatzes vorstellen. Oder hochrechnen. Hochrechnen kann ja heutzutage jeder. Die Kurve, die dabei ermittelt wird, liefert ein getreues Abbild der viralen Macht. Diese Kurve ist der eigentliche literarische Output.
Einen Einblick ins Labor gibt es hier: https://miro.com/app/board/o9J_kto5_Dw=/
Gomes/Thermann ist ein Schreibduo, das seit über einem Jahrzehnt die Randgebiete der Literatur erkundet. Nach ihrer Promotion an der Universität Bonn sind sie 2007 nach Berlin gezogen, wo sie Gründungsmitglieder des Künstlerkollektivs „Altes Finanzamt“ (Preis des Berliner Senats für freie Projekträume und -initiativen 2014) in Neukölln waren. Dort verwalteten sie ein Poesiebüro, organisierten Schreibmaschinenduelle, veranstalteten Philosophcal-Football-Matches und waren am Bau literarischer Maschinen beteiligt. Ihr erster gemeinsamer Roman, Berge, Quallen, erschien 2016 bei Diaphanes. Derzeit sind sie als DAAD-Lektoren im Ausland tätig: Gomes an der Universität Concepción (Chile), Thermann an der ENS in Lyon.